Begrüßung und Verabschiedung

Die klassische Verabschiedung: "Mach's gut mein Kleiner! Die Mama geht jetzt weg. Sie ist bald wieder da. (So in 8-10 Stunden) Und dann schmusen und kuscheln wir beide wieder. Aber bis dahin stelle hier nichts an, hörst du?! Sei schön brav! Die Mama hat dich lieb!"

... 3, 4, 5, ... 8, 10 Stunden später ...

Die klassische Begrüßung: "Ja, wer ist denn da?! Ja, na, wer ist denn da? Die Mama! Ja, die Mama ist wieder da! Und sie hat ihrem Schatz etwas mitgebracht! Schau mal! Ja, freust du dich? Hm?! Ja, wer freut sich denn da? Ja, ist das nicht toll?! Komm her, mein Schatz! Lass dich knuddeln und dir ein Küsschen geben!"

Na?! Wer kennt es so? Wer macht es so? Tatsächlich sieht man das in zahllosen Variationen des Textes, aber immer mit derselben Melodie, ziemlich häufig. Der Hund sitzt dann da, wie ein Häuflein Elend, hört sich diese Verabschiedung an und wirkt danach kein bisschen erleichtert. Und bei der Begrüßung dreht der Hund durch, als würde er von tausenden Flöhen gleichzeitig gebissen. Woran könnte das liegen? Was läuft hier? Und kann man das vielleicht besser machen? Gucken wir mal...

Hintergrund: Verlassens-Angst

Hunde leben in der freien Natur in Rudeln. Und das aus einem guten Grund: Allein könnten sie nicht erfolgreich sein. Allein würden sie STERBEN. Deshalb sitzt es tief in ihren Genen, stets in der Nähe des Rudels zu bleiben. Ein Verirren, gar ein Ausstoßen aus dem Rudel würde für sie den sicheren Tod bedeuten.

Nun haben Hunde keinerlei Ahnung vom menschlichen Konzept des Arbeitens für Geld, für das man dann wiederum Futter im Supermarkt eintauscht. Und obendrein: Als Rudel machen sie alles gemeinsam. Sie ruhen gemeinsam. Sie spielen gemeinsam. Sie jagen gemeinsam. Doch wir, mit unseren eigenen Ideen, haben ganz andere Vorstellungen von der Zeiteinteilung des Tages. Und wir können den Hund nicht überall hin mitnehmen. Er muss eben einfach zu Hause bleiben, wenn wir zur Arbeit gehen, zum Arzt müssen, Einkaufen fahren oder einer der unzähligen anderen Beschäftigungen in unserer menschlichen Welt nachgehen, in denen Hunde einfach keinen Platz (mehr) haben.

Da prallen Welten aufeinander.

Unser Hund durchlebt STERBENS-ÄNGSTE, und wir "trösten" ihn mit Worten, die er nicht versteht, streicheln ihn womöglich noch zum Abschied, von dem der Hund jedes Mal fürchtet:

"Dieses Mal ist es ganz sicher für immer.
Was habe ich nur falsch gemacht,
dass ich jetzt verstoßen werde?"

Diese Angst sitzt so unglaublich tief in den Genen der Hunde, wird dir fast jeder Hunde-Halter weise nickend bestätigen, dass es sehr, sehr mühsam ist, dagegen anzutreten. Selbst, wenn man - völlig anders als im oben genannten Beispiel - dafür zu sorgen versucht, dass der Hund nicht noch unnötigen Stress durch uns erfährt: Es kann JAHRE dauern, bis der Hund es halbwegs verkraftet. Und selbst das sit immer wieder von Rückschlägen durchzogen.

Was löst die Verlassens-Angst aus?

Neben unserem großen Zauber, den wir bei der Verabschiedung machen, gibt es noch eine ganze Reihe kleinerer Indikatoren - sogenannter Trigger -, die bei unserem Hund die Angst vor dem Verlassen-Werden auslösen können. Dazu gehören ...

  • ... das Klappern mit den Haus- oder Autoschlüsseln
  • ... das Anziehen der Jacke bzw. des Mantels, der Mütze, der Handschuhe, ...
  • ... das Aufnehmen der Arbeits-Taschen
  • ... der hektische Abschluss des Aufräumens kurz vor dem Losgehen
  • ... das konzentrierte Herumlaufen in der Wohnung kurz vor dem Losgehen
  • ... deine Schritte vor der Wohnungs- bzw. Haustür
  • ... deine Abschieds-Zeremonie von Familienmitgliedern
  • ... das Geräusch des Schlüssels im Schloss
  • ... natürlich das Zuschlagen der Wohnungs- bzw. Haustür
  • ... todsicher deine Abschieds-Zeremonie vom Hund

All dies beobachtet dein Hund. Aus all diesem lernt er: "Gleich! Gleich wird sie mich verlassen.", selbst dann, wenn du keine Abschieds-Zeremonie veranstaltest. Und daher bedarf all dies auch der Beachtung, wenn du die Erziehung für eine der leider wichtigsten Sachen im Zusammenleben von Hund und Mensch aufnimmst: Das Üben, es zu ertragen, allein bleiben zu können.

Warum fühlt der Hund sich "verstoßen"?

Da stellt sich prompt die Frage "Warum? Warum fühlt der Hund sich 'verstoßen'? Ich sage und zeige ihm doch, dass ich wiederkomme. Und er ist in seinem Revier, seiner Höhle, seinem sicheren Zuhause. Zusammen mit seinem Futter und seinem Lieblings-Spielzeug. Mehr kann ich doch nicht machen, oder?!"

Naja, Hunde haben kein Konzept von "Diese 4 Wände sind dein sicheres Zuhause. Hier kann dir niemand etwas tun. Also entspanne dich." Für sie ist das vielmehr eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit, die sie in der freien Natur haben. Sie können nicht mal flüchten, wenn jetzt ein Feind kommt. Dass der einen Schlüssel oder ein Brecheisen braucht, um hereinzukommen, ist ein menschliches Konzept, keines der Hunde.

Hinzu kommt, dass in der freien Natur ein Hund niemals ganz alleine ist. Selbst wenn das halbe Rudel auf eine mehrtägige Jagd-Safari gehen sollte: Das andere halbe Rudel ist immer noch da. Zum Spielen. Zum Schutz. Für das soziale Wohlbefinden. Wären hingegen ALLE Rudelmitglieder weg, dann würde der Hund auch in der freien Natur diese Ängste durchleben.

Falsch Die falsche Verabschiedung

Wenn wir nun mit viel Wind, Worten und Gesten die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass wir in wenigen Sekunden das Haus verlassen werden, zeigen wir unserem Hund, dass es ein Ereignis von großer Bedeutung für ihn ist: Jetzt passiert etwas sehr Wichtiges! Etwas, das sein Leben stark beeinflusst. Etwas sehr Einschneidendes. Deshalb machen wir ja so einen Zirkus darum, nicht wahr?! Um eine völlig normale Alltags-Sache machen wir jedenfalls nie irgendein Aufhebens, stimmt's?! Nur, wenn besondere Dinge passieren, sehr, sehr wichtige Dinge, dann kümmern wir uns intensiv darum. ... So, wie die Verabschiedung.

Richtig Die richtige Verabschiedung

Wenn ein Abschied nur für ein paar Stunden ist, wenn es also eine ganz normale, ganz alltägliche und völlig bedeutungslose Sache ist, die schon in wenigen Stunden wieder behoben ist, dann machen wir darum keinen Zirkus! Wir verabschieden uns: GAR NICHT. Überhaupt nicht. Denn es besteht keine Notwendigkeit, weil wir sowieso bald wieder da sind.

Du wirst niemals einen Hund dabei erleben, wie er, beispielsweise auf der Hundewiese, zu einem anderen Hunde-Kumpel geht und ihm mit Körpersprache oder Bellen und Knurren mitteilt: "Mein Frauchen hat mich gerufen. Mach's gut bis zum nächsten Mal. War schön mit dir. Wir sehen uns. Bis denn dann!" Und du wirst auch niemals ein Wolfsrudel beobachten, wo sich die Jagd-Gemeinschaft für die nächsten Stunden oder Tage vom Rudel verabschiedet: "Macht's gut Leute! Wir gehen jetzt einkaufen. Es wird sicherlich nicht ganz ungefährlich. Also vielleicht überleben wir ja nicht. Oder wir finden ein paar nette Wolfs-Frauen und bleiben da. Mal sehen."

Stattdessen wird dein Hund sich ... Genau! ... GAR NICHT "verabschieden". Wozu auch? Man sieht sich doch ganz sicher wieder, wenn nicht irgendwas Böses dazwischenkommt.

Banale Sachen bekommen von uns keine Aufmerksamkeit.
Warum also die Verabschiedung?
Ist sie nicht ebenso banal?

Ja, das bedeutet genau das: Nie, nie, nie machen wir Aufhebens um den Abschied. Es ist eine banale Sache, die keinerlei Bedeutung hat. Wir nehmen unsere Sachen und gehen durch die Tür. Und wir werden, das ist sicher, schon sehr bald wieder durch diese Tür zurückkommen. Genauso, als würden wir nur mal eben den Müll rausbringen. Oder Holz für den Kamin aus dem Schuppen holen. Oder zum Rasen-Mähen nach hinten rausgehen, während der Hund drinnen bleibt, weil er den Rasenmäher jagt.

Falsch Die falsche Begrüßung

Unser Hund ist sowieso schon aufgeregt, sobald er uns auch nur im Ansatz wahrnimmt. Manche Hunde erkennen das Rollgeräusch des Autos ihrer amtlich bestellten Leinen-Halter schon in der Auffahrt oder auf der Straße. Und fast alle können, wenn du immer zur gleichen Zeit nach Hause kommst, an ihrer inneren Uhr ablesen, dass du gleich zur Tür hereinkommen wirst. ... und dann bist du da:

Mit einem exaltierten "Hallo, mein Schatz! Ich bin wieder da!" zeigst du deinem Hund, dass er dieses Mal noch einmal großes Glück hatte, dass du den Weg zurcük zu ihm gefunden hast. Doch das ist nicht garantiert. Schon beim nächsten Mal könntest du nicht zu ihm zurückfinden. Deshalb ist es für euch beide etwas ganz, ganz Besonderes. Und das feiert ihr nun.

Richtig Die richtige Begrüßung

Wie schon bei der richtigen Verabschiedung, so gilt auch bei der richtigen Begrüßung: "Wozu begrüßen? War irgendwas Wichtiges? Ist es nicht die normalste Sache der Welt, dass ich da bin? Ist es nicht selbstverständlich, dass ich dich beschütze? Warum also Wind darum machen?" Oder machst du etwa JEDES MAL Wind, wenn dein Hund dich wiedersieht? Beispielsweise, nachdem du aus dem Keller, wo du ein paar Stunden lang ein bisschen aufgeräumt hast, wieder hochkommst? Oder nachdem du vom Nachbarn, mit dem du ein Schwätzchen im Garten gehalten hast, wieder in die Wohnung zurückkehrst?

Banale Sachen bekommen von uns keine Aufmerksamkeit.
Warum also die Begrüßung?
Ist sie nicht ebenso banal?

NATÜRLICH kannst (und sollst) du deinen Hund begrüßen dürfen. Doch wie wäre es, wenn du es für ihn etwas schmerzfreier gestaltest?

Eine gute Begrüßung

Du kommst zur Tür herein, dein Hund freut sich wie Bolle. Er hopst in der Wohnung herum, er springt an dir hoch, er bekommt sich vor Freude gar nicht mehr ein. ... Und du? So sehr es dich jucken mag, deinen Hund nun mit deiner Liebe zu überfallen: Du respektierst ihn als Hund. Und du beachtest ihn gar nicht! Du sprichst nicht mit ihm. Du berührst ihn nicht. Du schaust ihn nicht einmal an. Erstens ist seine Aufregung - abgesehen davon, dass sie gesundheitlich bedenklich werden kann, wenn es gar zu heftig wird - unter deinem Niveau. Und zweitens gibt es keinen besonderen Grund zu besonderer Freude: Es ist ein völlig normaler, alltäglicher Vorgang. Und dein Hund sollte respektieren, dass es nichts Besonderes ist.

Du schenkst deinem Hund KEINE AUFMERKSAMKEIT. GAR KEINE. Stattdessen wartest du geduldig ab, bis er wieder heruntergefahren ist. Irgendwann, wenn er für seine Freude so gar keine Aufmerksamkeit bekommt, schon innerhalb von 1, 2 Minuten, wird dein Hund immer ruhiger und ruhiger. Und dann legt er sich, erschöpft vom Freudentaumel, ganz allein irgendwo hin. DAS ist der richtige Zeitpunkt, ihn zu begrüßen.

Hoheitsvoll gehst du zu ihm oder rufst ihn zu dir. Und sanft und ruhig streichelst, liebkost oder bestichst du ihn mit Leckerlie. Gerade so, als hättest du das auch genauso gemacht, wenn du die ganze Zeit zu Hause gewesen wärst. Denn im Grunde ist es doch nicht anders: Ob du nun gerade mal weg bist, oder ob du gerade nur ein bisschen außer Sicht bist: Du wirst immer bei deinem Hund sein, wenn er dich braucht.

Und dein Hund wird mit der Zeit daraus lernen: "Aufregung? Bringt mir nichts! Je mehr ich um Aufmerksamkeit bettele, desto mehr ignoriert sie mich. Also lohnt es sich gar nicht, den Kreislauf auf Extrem-Werte zu bringen." Und schon nach wenigen Wochen hast du einen Hund, der dir zwar immer noch zeigt, dass er sich gewaltig freut, wenn du durch die Tür kommst; der das aber auch - zum Schutz deiner Nerven und seiner Gesundheit - (halbwegs) gesittet tun kann.