Echte und unechte Dominanz

In diesem Abschnitt wollen wir uns den Unterschied zwischen echter Dominanz und unechter Dominanz anschauen.

Dieser Unterschied ist enorm wichtig, denn nur die echte Dominanz ist "gute Dominanz"; also jene Dominanz, die wir selbst anstreben. Die andere, die unechte Dominanz ist nur dominante Hochstapelei. Und Hochstapler sind weder beim Menschen, noch bei Hunden sonderlich beliebt. Außerdem ist die Hochstapelei auf Dauer ziemlich anstrengend. Und wir planen schließlich, von heute an ein ganzes Hundeleben lang dominant zu sein.

Und überhaupt: Wenn unser Hund Hochstapelei durchschauen kann - und sei versichert: er kann -, dann nutzt es uns erst recht nichts, angestrengt hochzustapeln, nicht wahr?!

Echte Dominanz

Die echte Dominanz ist souverän. Sie ist eine kompetente Autorität und vertritt das auch glaubwürdig. Sie strahlt Selbstsicherheit und das Bewusstsein, jede Situation klären, jedes Problem lösen zu können, aus.

Ein echt dominanter Chef bewirkt allein durch seine Anwesenheit, dass Ruhe einkehrt. Nicht wegen möglicher Strafen, sondern wegen der bereitwilligen Unterordnung. Er kann seine Mitarbeiter motivieren und schafft für jedes Problem eine gute Lösung.

Zu vage, zu unbestimmt? Du kannst damit noch nicht so wirklich etwas anfangen? Dann nimm dir ein Beispiel an echt dominanten Hunden! (Falls du das Folgende gern in der Praxis erleben möchtest, um noch mehr zu lernen: Gehe auf eine x-beliebige Hundewiese. Fast immer wirst du dort auch echt dominante Hunde antreffen.)

REchte Dominanz ist nicht unruhig oder unsicher. Echte Dominanz ist Ruhe und Selbstsicherheit. Das - nur das - verleiht Macht; und damit Dominanz.

Echt dominante Hunde sind im Grunde fast immer die ruhigsten Hunde auf dem ganzen Platz. Denn sie wissen instinktiv, dass es allein ihre Ausstrahlung ist, die ihnen ihre dominante Macht verleiht. Wozu also Energie (und Macht) sinnlos verschwenden?

... und nichts und niemand kann die echte Dominanz da rausholen. Denn sie ist zuversichtlich: "Ich könnte, wenn ich wollte. Ich weiß das. Du weißt das. Und jetzt weißt du auch, dass ich weiß, dass du es weißt. Also chille oder trolle dich, Sportfreund!"

Du wirst niemals erleben, dass ein echt dominanter Hund einen anderen Hund kläffend zurechtweist. Das heißt nicht, dass sie sich nicht auch mal verbal äußern. Doch das machen sie so sparsam wie möglich. Ein kurzes Grollen hier, ein kurzes, zurechtweisendes Bellen dort. ... Davor und danach "reden" sie nicht. Und schon gar nicht "quasseln" sie und halten Gardinenpredigten..

Du wirst niemals erleben, dass ein echt dominanter Hund einen anderen Hund verprügelt, bevor er nicht die Eskalationsleiter der Verwarnungen mit seiner Körpersprache - und am Ende auch mit seiner Stimme - ausgereizt hat.

Es gibt kein Nachtragen und kein "Wut aufstauen". Noch nicht mal 10 Sekunden. Kannst du zur Tatzeit nicht da sein (weil du vielleicht zu weit weg warst und nicht schnell genug herankamst), dann verzicht auf jegliche Zurechtweisung. Stattdessen breche dein Vorhaben der Disziplinierung ab und gehe wieder in den wachsamen Standby-Modus; gerade so, als sei nie etwas geschehen, das dich aus deiner selbstsicheren Ruhe geholt haben könnte.

NUR WÄHREND DER TAT! Niemals danach! Schon gar nicht explosionsartiges Entladen länger aufgestauten Frusts.

So machen es die Hunde untereinander: Zuerst gibt's mehrere Verwarnungen mit der Körpersprache. Dann gibt's grollende Stimm-Unterstützung zur noch deutlicheren Körpersprache. Dann gibt's Droh-Schnappen; abermals mit nochmals deutlicherer Körpersprache. ... und obwohl es schon so weit eskaliert ist und er mehrfach (gar nicht so selten 20, 30 Mal) eingreifen musste: Bis hierhin gibt es KEINERLEI GEWALT. KEINERLEI LAUTE STIMME.

Erst dann - und wirklich ERST DANN - korrigeren sie auch mit physischer Gewalt. Und wieder gilt: So kurz und zielgerichtet, wie irgend möglich.

Und so machen wir es ab sofort auch.

So machen es die Hunde untereinander: Wenn sie eingreifen, dann geben sie klare und (eigentlich) unmissverständliche Dienstanweisungen. Klar. Kurz. Auf den Punkt. Erweist sich der Betroffene als widerspenstig, wird die Dienstanweisung nur deutlicher formuliert. Doch es wird nicht gedroht.

Die "Drohung" kommt allein durch die mit ruhiger und selbstsicherer Energie gezeigte dominante Stellung des Hundes zum Tragen. Es ist also ein "Ich weiß, dass du weißt, dass ich weiß, dass du weißt, dass ich könnte. ... ALSO ZWINGE MICH NICHT!"

Und so machen wir es ab sofort auch.

... es sei denn, du MUSST wirklich eingreifen. Doch selbst dann reduziere deinen Eingriff auf das absolut erforderliche Minimum. Je weniger Energie du brauchst, desto besser.

Autorität (Dominanz) nutzt sich ab, wenn man sie benutzen muss. Die echte Dominanz ist zwar robuster als die unechte, doch auch sie nutzt sich bei Benutzung ab. Daher spare mit deiner Energie. Mische dich nur ein, wenn es wirklcih sein muss.

Während die anderen Hunde wild herumtoben und es manhmal wohl nicht mal merken würden, wenn eine ganze Elefantenherde trötend über den Platz liefe; sind die echt dominanten Hunde immer aufmerksam auf der Suche nach möglichen Gefahren und potenziellen Risiken. Sowohl auf der Wiese. Als auch im Umfeld der Wiese.

Gewöhne auch du dir an, einen Blick für potenzielle Probleme zu bekommen! Da kommt ein Radfahrer in der Ferne auf euch zu? Je früher du ihn siehst, desto klarer kannst du deinen Hund durch dieses Problem führen. Und desto entspannter wird dein Hund, wenn er lernt, dass du den Job ganz gut ohne seine Hilfe schaffst.

Diese lumpigen 10 Punkte verschaffen dir die echte Dominanz. Du musst sie nur konzentriert umsetzen. Dabei kannst du natürlich auch Fehler machen. Dein Hund ist schließlich kein Unmensch. Aber zu häufige Fehler ... nun, steter Tropfen höhlt den Stein.

Unechte Dominanz

Die unechte Dominanz ist oft laut, schrill und boshaft. Sie ist nichts anderes als autoritäre Anmaßung.

Ein unecht dominanter Chef versucht, seine Autorität mit Gewalt durchzusetzen und mit der ihm verliehenen Macht wie mit einer Peitsche umzugehen. Man akzeptiert seine Macht; doch nur notgedrungen; und nur, so weit man unbedingt muss.

Hier versucht jemand, mit oft absurd und lächerlich wirkenden Methoden, sich Autorität anzueignen, die man ihm nicht glaubhaft abnimmt. Es wirkt aufgesetzt und künstlich; und ist obendrein ganz offensichtlich völlig überdreht.

Unechte Dominanz ist typischerweise ein Lückenfüller, mit der man Unsicherheit bei einem Problem zu überspielen versucht. Menschen und Hunde zeigen unechte Dominanz, wenn sie kreischend und tobend - also sehr aggressiv - auf der Einhaltung ihrer Regeln bestehen. Sie wissen, dass sie sich nicht durchsetzen könnten, weil ihnen die Autorität fehlt; also versuchen sie, mit Lautstärke und affektiertem Gehabe - aber auch mit Strafen - ihre fehlende Durchsetzungskraft zu kompensieren.

Unechte Dominanz ist Schwäche

Aus den beiden vorangegangenen Abschnitten ergibt sich eine super-wichtige Erkenntnis:

Aggressivität ist ein Zeichen von Schwäche!

Nicht Stärke, sondern Schwäche zeigen wir unserem Hund, wenn wir gegen ihn aggressiv werden. Er weiß das längst. Jetzt weißt auch du es: Immer dann, wenn du laut, grantig, böse und gemein wirst, sieht dein Hund den Tyrannen in dir.

JEDES MAL. OHNE AUSNAHME. Denn echte Dominanz hat es nicht nötig, aggressiv zu werden. Sie weiß, dass du weißt, dass sie weiß, dass du weißt, dass sie könnte, wenn sie wollte. Und deshalb braucht sie nicht.

Aggression ist also völlig ausgeschlossen?

All das Gesagte meint nicht, dass Aggression völlig ausgeschlossen ist. Sie ist vielmehr auf das wirklich Allernötigste beschränkt. So wird sich ein echt dominanter Hund beständig ruhig und souverän verhalten; und nur in sehr extremen Situationen - kurz! - aggressiv werden; um dann aber sofort wieder in die friedliche und souveräne Haltung zurückzukehren. Denn auch ihm sagen seine Instinkte: "Aggression ist Schwäche. Deshalb halte sie so kurz, wie irgend möglich!"

Wer jedoch andauernd kläfft und zerrt, - und auch das gilt für Mensch und Hund gleichermaßen - der weiß, dass er keine Kontrolle hat. Und der versucht, auf dem Weg des Terrors gegen andere die Kontrolle über Situationen zu erlangen. So jemand versucht also gar nicht erst, selbst stark zu sein; sondern er versucht, die anderen zu schwächen, so dass sie sich unter seine Kontrolle begeben.

Woran erkennt mein Hund, dass ich nur schauspielere?

Immer dann, wenn deine Stimme schrill wird; immer dann, wenn deine Körpersprache nicht zur Situation passt und/oder den Erwartungen des Hundes entspricht, immer dann, wenn du fahrige Bewegungen machst und unwirsch handelst, immer dann, wenn deine Emotionen dir den Verstand vernebeln, ...

... kurz gesagt: immer dann, wenn du einen "verzweifelten" Eindruck machst, glaubt dir dein Hund gar nichts mehr. Anfangs wird er vielleicht noch der Form halber nett sein; es könnte ja sein, dass du mal einen schlechten Tag hast. Doch sobald er gelernt hat, dass du nur eine Schauspieler-Maske trägst und in Wirklichkeit inkonsequent, nachlässig, unzuverlässig oder ein dauerhafter Tyrann bist, bist du für ihn erledigt. Dann schwindet sein Vertrauen.

Mooooment! Hunde werden auch aggressiv untereinander!

Ja, das werden sie. Aber sie haben dafür erstens ein ganz bestimmtes sogenanntes "Eskalations-Protokoll", oft auch "Eskalations-Leiter" genannt. Die Aggressivität ist da einer der ziemlich letzten Punkte; kurz vor der ernsthaften Beißerei. Und sie versuchen aufrichtig, das zu vermeiden, wo immer es geht.

Und zweitens wirst du, wenn du genauer hinschaust, auch IMMER feststellen, dass Hunde stets sehr bemüht sind, die Aggression so kurz wie irgend möglich zu halten. Erst wenn wirklich gar nichts mehr hilft, gehen sie pöbelnd aufeinander los. Davor versuchen sie mit einer Erstarrung, einem kurzen Knurren, einer heftigen Bewegung, einem warnenden Kläffen und einem kurz angedeuteten Zuschnappen möglichst zu verhindern, allzu viel von ihrem erworbenen echten Respekt aufs Spiel setzen zu müssen.

Ein guter Ort, das zu beobachten ist ... ja, genau!, auf der Hundewiese. Je belebter, desto besser. Und wenn dein Hund selbst dort herumtollt, lernst du auch eine ganze Menge über ihn. Also hin da!

Okay, wie werde ich echt dominant?

Echte Dominanz ist ganz einfach: Bleibe immer ruhig! Sei immer konsequent! Verlange meistens Disziplin! Gib gelegentlich Zuneigung! (Kommt dir das bekannt vor?) Und habe stets eine Antwort, wenn dein Hund dich etwas fragt!

Keine Sorge! Das klingt alles schlimmer, als es in Wirklichkeit ist. Du brauchst nur die Bereitschaft, etwas Lernen zu wollen; und die Einsicht, dass du von deinem Hund mehr lernen kannst, als er von dir... Der Rest ergibt sich dann fast von allein.