Falsche Strafe? Das geht? Man kann "falsch bestrafen"?

Im Abschnitt Lob und Strafe haben wir uns damit auseinandergesetzt, wie viel Lob und Strafe unser Hund braucht. Und wir haben zu beidem festgestellt: Er braucht beides nicht bzw. nur im richtigen Maß und zur richtigen Zeit. Daraus ergibt sich eine spannende Frage:

Man kann "falsch" bestrafen?
Wie geht denn richtiges Bestrafen?

Man kann "falsch" bestrafen?
Wie geht denn richtiges Bestrafen?

Tatsächlich ist falsche Strafe - genauso, wie falsches Lob - eine sehr häufige Ursache für Verhaltensstörungen unserer Hunde. So häufig und so krass, dass wir unbedingt darüber nachdenken sollten, wie denn vernünftiges, richtiges Bestrafen überhaupt funktioniert.

TIPP Wenn du auch nur den Hauch der Möglichkeit, deinen Hund womöglich gleich falsch zu strafen, siehst: Strafe lieber gar nicht als falsch! Dann machst du bei der Erziehung deines Hundes weniger Fehler.

Ausnahmslos jede Stafe ist ein Versagen des Halters!

Beginnen wir gleich mal mit dem wichtigsten Punkt überhaupt: Ausnahmslos jede Stafe ist ein Versagen des Halters. Denn wenn du glaubst, strafen zu müssen, dann ist SCHON LANGE VORHER VIELES SCHIEF GELAUFEN. Und das wiederum hat zu diesem Punkt im Hier & Jetzt geführt, wo du glaubst, ohne Strafe nicht mehr weiterzukommen.

VOLKSMUND Mancher braucht einen unter sich vor sich,
um über sich nicht außer sich zu sein.

Wenn du also strafst, dann lässt du faktisch nur den Frust über dein eigenes Versagen am Hund aus. Und nur wenig könnte erbärmlicher sein, nicht wahr?! Und als ob das noch nicht genug wäre: Jede Stafe kratzt am verdienten (freundschaftlichen) Respekt, den dein Hund dir gibt. Und das wird dich, je häufiger du strafst, desto früher und umfangreicher, mittelfristig in immer neue Baustellen stürzen.

Was verstehen wir Menschen unter Strafe?

In unserem menschlichen Umfeld ist Strafe im Grunde nichts anderes als Rache NACH DER TAT. Jemand hat etwas Böses oder Ungehöriges getan. Und er wird dafür bestraft; die Opfer werden also gerächt. Oft geschieht das erst Wochen, Monate oder sogar Jahre nach der eigentlichen Tat. Es gibt also nur noch einen mittelbaren Zusammenhang der Strafe zur Tat.

Für uns Menschen mag das mehr oder weniger Okay sein. Wir verstehen den Zusammenhang trotzdem. Und im Zweifel können wir ihn uns durch Nachschlagen, Nachlesen und Wiederholen bekannter Informationen wieder ins Gedächtnis rufen.

Was verstehen die Hunde unter Strafe?

Nun ja, ... sie kennen das Konzept der "menschlichen Strafe" nicht einmal. Sie verstehen also gar nichts darunter. Überhaupt nichts. Wirklich nicht einmal den Ansatz davon.

Stattdessen kennen Hunde nur das Konzept der Zurechtweisung WÄHREND DER TAT. Ein Hund macht also etwas, das einem anderen Hund nicht gefällt. Dafür wird er SOFORT, also noch während der Tat selbst, zurechtgewiesen (man sagt: "korrigiert"). Unterlässt der Störenfried nun seine Tat, ist SOFORT wieder alles vergeben und vergessen. Es ist so, als wäre die Tat nie geschehen.

Das menschliche Prinzip des "Der ist rotzefrech. Da gehe ich mal hin und haue ihm eine aufs Maul!" kennen Hunde wirklich überhaupt nicht. Schaffen sie es nicht rechtzeitig, den anderen während der Tat zu korrigieren, etwa, weil der aufgehört hat, während sie hingeflitzt sind, dann unterlassen sie auch die Zurechtweisung.

Zwischen menschlichem und hündischem Verständnis von "Strafe" liegen Welten!

Und weil Menschen und Hunde so grundverschiedene Vorstellungen davon haben, wie eine "Strafe" auszusehen hat, kommt es gerade beim Bestrafen zu wirklich hochproblematischen Situationen, die oft mehr Baustellen neu aufreißen, als sie durch die Strafe zu reduzieren versuchen...

Gerechtigkeit: Angemessenheit der Strafe vs. "Eskalationsleiter"

Auch beim "Strafmaß" unterscheiden sich menschliche und hündische Konzepte und Vorstellungen gravierend.

  • Menschen haben für das Strafmaß Handbücher und Gesetzbücher. Da kannst du schon vor deiner Tat ganz konkret nachschlagen, was es dich vermutlich kosten wird. Und du kannst auch nachschlagen, was dich Folgetaten oder Wiederholungstaten an "Erschwerniszuschlägen" kosten werden.
  • Hunde haben eine sogenannte Eskalationsleiter. Sie verstärken also während der noch laufenden Tat so lange ihre Korrektur des Täters, bis dieser mit dem Unfug aufhört. Dabei beginnen sie bei jeder "Straftat" erneut ganz unten auf der Leiter; gerade so, als sei es die erste Straftat.

Auch hier gibt es also einen gigantischen Unterschied im Verständnis, was denn nun eine "gerechte Strafe" ist. Und aus alledem folgt unweigerlich: Besser gar nicht strafen als falsch strafen! Dein Hund kommt besser damit zurecht, gar nicht bestraft zu werden, als er damit zurechtkommt, nach seinem Verständnis tyrannisch bestraft zu werden.

Besser gar nicht strafen als falsch strafen!

Schauen wir uns nun ein paar Beispiele an, wie eine falsche Strafe typischerweise aussieht.

Falsche Strafe Zur falschen Zeit

Du bist draußen beim Spaziergang. Und dein Hund springt irgendwo fröhlich und unangeleint herum. Du schaust auf die Uhr und denkst, dass es höchste Zeit wird, nach Hause zu kommen. Du hast noch unendlich viel zu tun, und der Tag wird immer kürzer. Also rufst du deinen Hund...

"Bello! Komm!" ... doch Bello hört nicht. Er springt weiter fröhlich und ausgelassen herum und beachtet dich gar nicht, obwohl du sicher bist, dass er dich hören konnte. Du rufst und rufst und rufst ... und mit jedem Ruf verstärkt sich deine Frustration. "Diese widerliche Töle!", denkst du immer verärgerter, "Na warte! komm du mir mal her! Dir ziehe ich den Hosenboden stramm!"

Typische Situation, nicht wahr?! Die kennt jeder von uns, der einen Hund hat.

Irgendwann, nach dem 20., 30. oder 40. Rufen kommt Bello dann aber doch angetrabt. Freudig springt er auf dich zu, weil er einen so tollen Tag hat. Doch kaum bei dir angekommen, stauchst du ihn zusammen "Du rotzfrecher Lümmel! Wie kannst du mich nur so lange warten lassen? Du hast gefälligst zu kommen, wenn ich dich rufe! Ich habe es eilig, verdammt noch mal!" Und dann zerrst du wutentbrannt an ihm herum, während du ihn mit heftigen Bewegungen anleinst und anschließend hinter dir her in Richtung Heimat schleifst.

Was versteht dein Hund?

Bello hat dein erstes Rufen schon gehört. Aber er hatte einfach keine Lust, jetzt schon nach Hause zu gehen. Da ist es langweilig. Und überhaupt: Sein Respekt für dich ist auch noch nicht oder nicht mehr sonderlich groß. Warum also sofort reagieren? Mit deinem wiederholten Rufen stellt er auch an deiner Stimmlage fest, dass du immer frustrierter wirst. Ein Blick zu dir, und auch deine Körpersprache sagt ihm unmissverständlich: "Aus Erfahrung weiß ich: Sobald ich hingehe, bekomme ich sowieso Stress. Das kann ich nicht ändern. Also kann ich auch noch eine Weile bleiben und die glücklichen Momente genießen."

Welche Motivation hat dein Hund also, auf dein Kommando zu hören? Und wer hat ihm diese Nicht-Motivation mitgegeben? Er selbst? Oder du, durch dein Verhalten?

Das Ergebnis? Neue Probleme!

Für deinen Hund ist dieser Abruf eine Abfolge von ZWEI VERSCHIEDENEN UND VONEINANDER UNABHÄNGIGEN HANDLUNGEN:

  1. Er spielt und soll das Spielen abbrechen.
  2. Er kommt zu dir.

Die erste Handlung, also der Spiel-Abbruch, ist eigentlich DEIN Problem, für das du ihn zurechtweisen willst, nicht wahr?! Doch diese Handlung ist bereits beendet, wenn er zu dir kommt. Stattdessen ist nun die Handlung "Ich komme zu dir! Freue dich!" aktiv, wenn er bei dir ankommt.

Du bestrafst deinen Hund also fürs Kommen. Er wird bestraft, weil er - spät zwar, doch immerhin - gehorcht hat. Das ist zumindest SEIN Verständnis davon. Und das ist es, was er sich für den nächsten Ausflug merkt: "Sobald ich nachher abgeleint werde, werde ich später sowieso Stress mit meinem Haustyrannen bekommen. Also bleibe ich weg, solange ich will."

Nicht wirklich das, was du durch die Strafe erreichen wolltest, hm?!

RICHTIGZur Strafe (Korrektur) hast du nur so lange Zeit, wie die "Straftat" noch läuft. Danach versteht dein Hund den Zusammenhang nicht mehr.

Tatsächlich wäre es hier für alle Beteiligten besser, du würdest gänzlich auf Strafen verzichten. Dein Hund würde freudiger zu dir kommen. Und du müsstest auf Dauer (nicht dieses Mal, aber mittelfristig) seltener nach ihm rufen.

Falsche Strafe Das falsche Maß

Bello hockt mal wieder auf dem Sofa. Du hast es ihm gefühlt schon tausend Mal erklärt, mit ihm geübt, ihn vom Sofa verwiesen. Aber jetzt reißt dir der Geduldsfaden. Du explodierst. "RUNTER DA! VERSCHWINDE VOM SOFA! WIE OFT MUSS ICH DAS DENN NOCH WIEDERHOLEN?!?!?!?!" Und dabei rennst du wutentbrannt und drohend auf den Hund zu.

Dein Hund, je nachdem, wie ernst er dich überhaupt noch nimmt, klemmt verängstigt den Schwanz zwischen die Beine und gibt Hackengas, um aus deinem Sichtfeld und Wirkungsbereich zu kommen; oder trollt sich mit ein zwei Sprüngen vom Sofa herunter.

Du denkst "Dem musste ich jetzt mal zeigen, wo der Frosch die Locken hat!" ... aber wie sieht dein Hund die Situation?

Was versteht dein Hund?

Natürlich weiß er, dass er nicht (mehr) aufs Sofa darf. Also zumindest hast du das mit ihm geübt. Aber da du in letzter Zeit sowieso inkonsequent warst und es ihm manchmal gelungen ist, trotzdem aufs Sofa zu kommen, betrachtet er das mehr als ein optionales Ding. Man KANN unten bleiben; man MUSS NICHT. Und mehr noch: Er kann sich nicht mehr daran erinnern, wann er zum letzten Mal vom Sofa geschickt wurde. Alles, wirklich alles, was länger als "vorhin" her ist, hat dein Hund vergessen. Es interessiert ihn einfach nicht mehr, denn er lebt nur im Hier & Jetzt der Gegenwart.

Dementsprechend bewertet er nun auch deinen Auftritt: "Oh Gott, der Tyrann schon wieder! Was mache ich denn diesmal falsch? Ich verstehe es einfach nicht!" Und so, wie es jedem - auch den Menschen - geht, wenn ein Tyrann eine willkürliche Forderung mit spontaner oder auch nur angedrohter Gewalt durchzusetzen versucht, geht es auch deinem Hund: Er verliert wieder ein Stück ehrlichen und erworbenen Respekt vor dir.

Nicht wirklich das, was du durch die Strafe erreichen wolltest, hm?!

RICHTIGJede Tat ist eine neue Tat. Es gibt keine Sammelbestrafung.

Richtig und für den Hund respektabel wäre es hingegen, wenn du auch an dieser Stelle lieber gar nicht zur "Strafe" gegriffen hättest. Stattdessen hättest du den Hund ruhig, konsequent und bestimmt auf die erforderliche Disziplin hinweisen sollen. Wieder einmal? Ja, wieder einmal! So oft es eben notwendig ist. Und genauso, wie seine Instinkte es ihm auch sagen: Jede Tat ist eine neue Tat. Es gibt keine Sammelbestrafung.

Wie strafe ich richtig?

Nachdem wir uns angeschaut haben, wie schnell man falsch strafen kann; werfen wir nun noch einmal zusammenfassend einen Blick darauf, wie richtige Strafe aussehen sollte:

  1. Am besten: Möglichst gar nicht bestrafen! --- Jede, ausnahmslos jede, Strafe zehrt an deinem verdienten (freundschaftlichen) Respekt. Entscheide also weise, ob "Jetzt Strafe!" oder "Nachher bessere Erziehung!" die bessere Entscheidung wäre.
  2. Du hast nur während der Straftat Gelegenheit zur Strafe bzw. Korrektur. Endet die Straftat ist auch die Frist zur Bestrafung in derselben Sekunde abgelaufen. Nachkarten ist tyrannisch und zehrt MASSIV an deinem verdienten (freundschaftlichen) Respekt.
  3. Wenn du doch strafen willst oder glaubst zu müssen: Eskaliere die Strafe, bis dein Hund sein falsches Verhalten beendet. Und nur bis dahin. Danach brich die Strafe sofort ab. Beginne mit einem bösen Blick! Gib deiner Stimme mehr Bass! Benutze die Körpersprache zur Unterstreichung deines Willens! Werde nach und nach fordernder, aber nicht lauter! All das hilft nicht? Dann lege Drohung in Stimme und Körpersprache! Aber eines nach dem anderen. Und gib deinem Hund Zeit, auf jede Verstärkung zu reagieren!
  4. ERNSTHAFTES PROBLEM! Bedenke unbedingt, dass du die Eskalation nicht beliebig fortsetzen kannst: Hat dein Hund gar keinen Respekt vor dir, wird er die Eskalation bis zum bitteren Ende mit dir durchfechten. Bist du wirklich bereit für eine Beißerei mit deinem Hund? Wenn du also nicht wirklich absolut sicher bist, als Sieger aus diesem Konflikt herauszukommen; dann ist es klüger, von Anfang an auf eine Strafaktion zu verzichten! Denn NICHTS - wirklich GAR NICHTS - kostet dich mehr Respekt, als eine verlorene Straf-Eskalation. Selbst Ignorieren der Straftat lässt dir da mehr Respekt deines Hundes übrig, als ein verlorener Machtkampf bei einer Strafaktion.

Du siehst: Richtig, also "Hunde-gerecht", bestrafen ist gar nicht so einfach, nicht wahr?! Deshalb versuche, Strafen möglichst zu vermeiden!

GENERELLER TIPP
Versuche Strafen möglichst zu vermeiden.
Geht das wirklich nicht, halte sie klein und kurz!