Wie führe ich meinen Hund durch meine Welt?Dein Hund hat Fragen: Beantworte sie!

Im Abschnitt Was Rudelführung bedeutet haben wir uns angeschaut, wie es sich aus der Sicht des Hundes anfühlt, wenn niemand, der Ahnung davon hat, die Führung übernimmt.

In diesem Abschnitt wollen wir uns anschauen, wie man seinen Hund "richtig anführt". Und das klingt alles viel komplizierter, als es in der Praxis tatsächlich ist. Schon nach kurzer Zeit wirst du feststellen, dass es sich tatsächlich ganz natürlich anfühlt. Letztlich unterscheiden sich nämlich und "auf Hund aufpassen" gar nicht so sehr. Wir müssen uns nur daran gewöhnen, dass der Hund natürlich die Hunde-Sprache benutzt; also vor allem anderen immer erst seine Körpersprache ... weil er eben keine menschliche Sprache sprechen kann.

Dabei dreht sich wieder einmal alles, was wir tun, nur dem einen einzigen Ziel: Wie erwerbe ich den Respekt meines Hundes? denn dieser Respekt ist die Grundlage aller Erziehungsarbeit. Je mehr wir davon haben, desto einfacher wird die Erziehung für uns.

Dein Hund hat ständig Fragen an dich: Beantworte sie einfach nur!

Als wir uns angeschaut haben, was Rudelführung bedeutet und wie es sich aus der Sicht unseres Hundes anfühlt, in einer völlig unvertrauten Welt zurechtkommen zu müssen, haben wir festgestellt:

Unser Hund hat den ganzen Tag
unendlich viele Fragen an uns.

Unser Hund hat den ganzen Tag unendlich viele Fragen an uns. Logisch, denn er muss in UNSERER Welt mit UNSEREN Regeln zurechtkommen. Nichts daran ist vergleichbar mit dem, was er in seiner natürlichen Umgebung erleben würde und worauf seine Instinkte ihn eigentlich einstimmen wollen. Es gibt dort keine Ampeln, keine gefährlichen Straßen, keine Ansammlungen fremder Hunde. Und es gibt auch keine Zäune, Regel oder gar andere Gesetze als die des Überlebens.

NATÜRLICH ist er nun in unserer Welt, die für ihn so vollkommen fremd ist, hilflos und orientierungslos. Deshalb MÜSSEN wir ihm den Halt geben, den er braucht, um auch in unserer Welt klarzukommen.

"Ist der Hund da hinten böse?", "Ist das Auto hier vorn gefährlich?", "Will der Jogger uns an den Leib?", "Darf ich das essen?", "Darf ich die Katze jagen?", "Darf ich diese Schuhe zerkauen?", "Wollen wir jetzt Ball spielen?", "Ich muss mal! Können wir rausgehen?", "Wollen wir um die Wette laufen?", "Hast du mich gerade gerufen?", "Hast du das auch gehört? Wollen wir mal nachschauen gehen?", ...

So geht es den lieben langen Tag. Vom Tage seiner Geburt an; bis zum letzten Tag auf Erden. Ununterbrochen. Immer dann, wenn IRGENDWAS passiert, sich verändert oder entdeckt wird. Und dein - EINZIGER - Job ist:

Beantworte seine Fragen!

Beantworte seine Fragen! Habe auf JEDE seiner Fragen die richtige Antwort. Also mindestens eine Antwort, mit der du selbst gut leben kannst. Und du wirst sehr schnell feststellen, dass das Zusammenleben mit deinem Hund sich plötzlich "irgendwie richtig" anfühlt; dass der Hund plötzlich genau das macht, was du schon die ganze Zeit von ihm wolltest; und dass der Hund selbst geradezu aufblüht und sich entspannt...

Die schlechte Nachricht - Du musst eine neue Sprache lernen

Kommen wir gleich zur schlechten Nachricht, dann haben wir es hinter uns. Da dein Hund die menschliche Sprache nicht versteht, musst du eine neue Sprache lernen

Lerne die Hunde-Sprache!

Lerne die Hunde-Sprache! Und die besteht aus der Sprache deiner Körperhaltung (lies: Körpersprache) und aus deiner Stimme, also der Betonung, mit der du sprichst. Beides ist ihm vertraut, denn in dieser Sprache unterhält er sich mit ALLEN Lebewesen auf diesem Planeten: Er vertreibt sie durch drohende Körperhaltung oder aggressives Bellen; und er lockt sie zum Spiel durch eine offene Körpersprache, die allen, die sie "lesen" können, klar anzeigt, dass er gerade in Spiel- und keineswegs in Fresslaune ist.

Dabei ist für den Hund nicht entscheidend, WAS du sagst, sondern WIE du es sagst. Dasselbe Wort mal freundlich lächelnd bittend, mal mit grimmig verzerrtem Gesicht und fordernd ausgesprochen hat auf den Hund (wie auch auf uns Menschen) völlig unterschiedliche Wirkung. Und Hunde sind perfekte Meister der Körpersprache: Praktisch ihre gesamte Kommunikation findet als reine Körpersprache statt. Nur, wenn jemand völlig unbelehrbar ist, wird auch die Stimme (Knurren & Bellen) verwendet.

Deshalb ist es für sie ganz instintiv völlig normal, dass sie zuerst gucken, "wie du dastehst"; und erst in zweiter Linie auf deine Stimm-Kommandos achten. (Das ist übrigens besonders cool, denn so kannst du deinen Hund sogar völlig ohne Worte und gebrüllte Kommandos über große Distanzen dirigieren.)

Die gute Nachricht - Du musst nur "Ja!" und "Nein!" lernen

Alle Fragen, die dir dein Hund stellt, und WIRKLICH ALLE, sind sogenannte geschlossene Fragen: Dein Hund erwartet ausschließlich "Ja!" oder "Nein!" als Antwort. Nur diese beiden Antworten:

Du musst nur "Ja!" und "Nein!" lernen.

"Nein, du darfst die Katze nicht jagen!", "Nein, du darfst jetzt nicht über die Straße rennen und dem Hase folgen!", "Ja, du darfst aufs Sofa!", "Nein, du darfst nicht mit ins Bett!", "Ja, du darfst den anderen Hund begrüßen!", "Nein, du darfst nicht laut werden!", ... und so weiter, und so fort ...

Der Haken - Wenn du nicht antwortest, beantwortet sich dein Hund seine Frage selbst

Bei der Sache gibt es aber einen super-wichtigen Haken: Beantwortest du eine Frage deines Hundes nicht, weil du sie vielleicht gar nicht mitbekommen hast oder nicht beantworten möchtest, ... dann wird dein Hund sich die Frage selbst beantworten. Und seine Antwort fällt im Regelfall sehr einseitig für "Ja!" aus.

Antwortest du nicht, beantwortet sich dein Hund die Frage meistens selbst: "Ja, mach mal! Wird bestimmt schön."
Dafür hast du selten mehr als 3-5 Sekunden Zeit.

"Ja, du darfst die Katze jagen!", "Ja, du darfst die Scheiße fressen!", "Ja, du darfst die Wurst vom Tisch klauen!", "Ja, du darfst den fremden Hund einschüchtern!", "Ja, du darfst den Radfahrer hetzen!", "Ja, du darfst das Sofa zerlegen!" , "Ja!", "Ja!", "Ja, natürlich darfst du!"

Je öfter wir also keine Antwort auf seine Fragen geben, desto mehr verselbständigt sich der Hund, desto mehr verlieren wir die Führung-Kontrolle. Das ist natürlich nicht das, was wir eigentlich wollen, nicht wahr?! Deshalb ist es wirklich, wirklich, wirklich wichtig, dass wir MÖGLICHST IMMER EINE ANTWORT auf seine Fragen haben. Und selbstverständlich kann die Antwort auch immer wieder "Ja!" lauten. Warum auch nicht?! Aber so WISSEN wir wenigstens, was der Hund vorhat, BEVOR er loslegt ... und möglicherweise Blödsinn veranstaltet.

Woran erkenne ich, dass mein Hund mich etwas fragt?

Nun können Hunde - anders als Kinder - nicht an deinem Rockzipfel ziehen und quengeln, bis du ihnen endlich eine Antwort gibst. Also genauer: Sie machen es schon; aber eben auf Hunde-Art. Und deshalb ist die erste und wichtigste Regel: Beobachte deinen Hund! Permanent! Lasse ihn nie ganz aus den Augen! Und lerne von ihm! Denn er zeigt dir - manchmal sehr deutlich, manchmal nur durch winzige Kleinigkeiten - mithilfe seiner Körpersprache, dass er dir gerade eine Frage stellt.

Faustregel Im Zweifel nimm einfach an, dass er dir GENAU JETZT GERADE eine Frage stellt. Du musst nur herausfinden: Welche?

Alles, was du tun (und lernen) musst, ist zu erkennen, ob dein Hund dir gerade jetzt eine Frage stellt (Im Zweifel nimm einfach immer an: Ja, er stellt GENAU JETZT eine Frage an dich!) und - etwas schwieriger - WELCHE Frage er gerade stellt.

Keine eindeutigen Kennzeichen; aber gute Erkennbarkeit

Leider gibt es keine eindeutigen, besonderen Kennzeichen und keine Checkliste, woran du unzweifelhaft erkennen kannst, ob dein Hund dir gerade eine Frage stellt. Das hängt von der Art der Frage ab; und auch davon, wie dringend er jetzt gerade unbedingt ein "Ja!" von dir hören will.

  • Beobachte deinen Hund permanent! Achte auf die kleinen Veränderungen im Vergleich zu seinem normalen Verhalten! Dann findest du ziemlich schnell heraus, welche Kennzeichen dein Hund benutzt, wenn er dich etwas fragt.
  • Beobachte deine Umgebung permanent! Finde mögliche Fragen schon, bevor dein Hund sie dir stellt. Der Radfahrer da vorn; das sich schon jetzt hörbar laut nähernde Motorrad von hinten; der fremde Hund der euch entgegen kommt; die Katze, die eben über die Straße gehuscht und auf den Baum gesprungen ist, ... all das wird dein Hund, sobald er es selbst bemerkt, bei dir abfragen: "Ist es gefährlich?", "Darf ich es jagen?", "Wollen wir?", "Kann ich?" Und schon hast du längst eine Antwort auf seine Frage, bevor er überhaupt fragt.

Ein unzweifelhaftes Verhalten ist beispielsweise IMMER plötzliche Aufmerksamkeit deines Hundes in die Ferne. Eben schnüffelte er noch entspannt am Laternenpfahl herum; und schon in der nächsten Sekunde erstarrt er zur Salzsäule und schaut starr in eine Richtung, die Ohren fest nach vorn gerichtet. Das ist der allerletzte Moment für dich, jetzt ganz schnell herauszubekommen, was dein Hund da wahrnimmt --- und dann schleunigst eine Antwort zu finden; BEVOR sich dein Hund nun gleich die Frage selbst mit "Ja! Geh mal naschschauen!" beantwortet und lossprintet.

Praxis-Beispiel "Darf ich das haben?"

Dein Hund entdeckt auf dem Boden in der Küche ein Stück Wurst, das dir versehentlich unbemerkt heruntergefallen ist. Da du gewohnheitsmäßig deinen Hund immer im Augenwinkel hast, stellst du fest: Er kommt in die Küche und bleibt urplötzlich - scheinbar ohne jeden Grund - wie eingefroren stehen und starrt fest auf eine Stelle auf dem Fußboden? Aha, er will etwas wissen! Er stellt dir eine Frage.

  • Wenn du einen sehr netten, wohlerzogenen und höflichen Hund hast, wird er dich kurz anschauen, dann wieder auf die Stelle auf dem Fußboden starren; dich vielleicht noch einmal kurz anschauen und wieder auf diese Stelle starren.
  • Wenn du einen unhöflichen und schlecht erzogenen Hund hast; oder wenn die Wurst dann doch gar zu lecker riecht, um jetzt ein "Nein!" zu kassieren, wird er dich jedoch nicht anschauen und so tun, als wärst du gar nicht da und er müsste nun niemanden fragen.

GENAU JETZT stellt der Hund dir eine Frage:

"Darf ich das haben?"

Und von nun an tickt die Uhr: Du hast jetzt 1, vielleicht 2, selbst beim artigsten Hund aber nur maximal 5 Sekunden Zeit, eine Antwort auf seine Frage zu geben. Wartest du länger oder bemerkst du die Frage zu spät, beantwortet dein Hund seine Frage selbst:

"Ja, na klar!
Warum nicht?
Ich lasse es mir schmecken!"

Ich habe "Nein!" gesagt, aber mein Hund diskuiert mit mir

Natürlich diskutiert dein Hund hin und wieder mit dir. Entweder, weil die Verlockung allzu groß ist. Oder weil du - Achtung, wichtig! - in der Vergangenheit allzu häufig schlicht inkonsequent in deinen Antworten warst: Wenn du auf ein und dieselbe Frage, beispielsweise "Darf ich das haben?", mal mit "Ja!", mal mit "Nein!", geantwortet hast, dann wird dein Hund NATÜRLICH versuchen, dein aktuelles "Nein!" in ein "Ja!" umzuwandeln; ... dann wird er mit dir diskutieren.

Dein Hund ist schließlich nicht dumm. Und wenn er erst mal gelernt hat, dass du manche seiner Fragen GAR NICHT BEMERKST, dann fragt er eben so oft und so lange nach, weil er darauf hofft, dass du seine Frage irgendwann mal wieder nicht bemerkst, ... er sie sich selbst also mit "Ja!" beantworten kann. Kurz gesagt: Und - *zack!* - schon sind wir mittendrin im Thema Konsequenz. Und hier ganz speziell bei der Frage "Mein Hund diskutiert mit mir. Was mache ich jetzt?"

Woran merke ich, dass mein Hund meine Antwort akzeptiert hat?

Das ist einfach: Dein Hund wird seine Aktivitäten wieder aufnehmen. In unserem "Wurst-Beispiel" wird er sich also einfach trollen und einen Bogen um die Wurst machen. Vielleicht bleibt er in der Küche, verlegt sich vom aktiven Diskutieren aufs Betteln (Auch das ist passive Diskussion!) oder einfach aufs " Abwarten & Beobachten" und hofft, dass du ihm etwas abgibst. Vielleicht geht er auch in ein anderes Zimmer und sucht sich eine andere Beschäftigung.

In jedem Fall entspannt sich aber sein ganzer Körper wieder völlig und er bewegt sich von der Stelle, auf der er eben noch stand und mit dir diskutierte, weg.