Probleme mit meinem Hund richtig analysieren und beschreiben

Logisch! Wir - also der Hund und ich - haben ein Problem, und wir (also ich) wollen das vom Tisch bekommen. Und zwar rapido! Und mindestens ebenso logisch ist es für uns, dass wir natürlich ALLES und SOFORT lösen wollen. Genau jetzt! Keine Zeit mit Ursachenforschung verschwenden! Wir brauchen Lösungen!

Doch wenn du wirklich gute und funktionierende Lösungen für deine Probleme haben willst, wirst du nicht darum herum kommen, das Problem sehr genau zu beschreiben. Je genauer du herausfindest, was das eigentliche Problem ist, was also die URSACHE des Problems ist, desto schneller und einfacher sind oft die Lösungen.

Das machst du schon? Wirklich? Warum funktionieren dann deine Lösungen nicht? Schauen wir es uns mal an einigen Beispielen an.

Mein Hausarzt hat meinen Nachbarn jahrelang auf Gelbsucht behandelt. Gestern stellte sich bei genauerer Untersuchung heraus:
Er ist ein Chinese.
Fips Assmussen

Wenn du ein Kleinkind hast, sagst du doch bestimmt auch nicht: "Mein Kind heult IMMER!" Und du löst es einfach mit "Schnuller in den Mund und fertig! Stille! Endlich!" Stattdessen überlegst und beobachtest du: "Schmerzen? Hunger? Müdigkeit? Frust? Windel voll? Einsamkeit? ..."; ziehst DARAUS deine Schlussfolgerungen und löst das Problem schnell, ruhig und effizient; oder?! Mach's mit deinem Hund genauso! Auch er ist nichts weiter als "dein Kind".

Nichts anderes macht ein Hunde-Trainer: Er beobachtet ganz genau, was der Hund wann und wie genau macht. Dann überlegt er, WARUM der Hund das macht. Und erst dann schlägt er dir eine Lösung für das Problem vor. Sei dein eigener Hunde-Trainer! Beobachte super-genau! Finde die exakte Ursache des Problems! Und dann löse ein Problem nach dem anderen.

Beispiel: Mein Hund bellt ANDAUERND!

Diesen Satz hast du sicher auch schon von anderen Leuten gehört. Vielleicht denkst du das auch über deinen Hund. Doch ist es wirklich ANDAUERND? Keine Pause? Er wacht auf und bellt, bis er abends wieder schläft ohne jegliche Unterbrechung? Und das einfach so? Nur, weil er wach ist?

Bellt er vielleicht im Garten mehr als beim Spaziergang an der Leine? Bellt er weniger oder sogar gar nicht, wenn ich mich mit ihm beschäftige? Oder bellt er gezielt etwas an? Wenn ja: WAS bellt er WANN an? Ganz konkret! Was sind die exakten Begleitumstände dazu, also in welchen exakten Situationen bellt er? Kann man vielleicht ein klares Muster erkennen? Bellt er beipielsweise nur bestimmte Fußgänger an, während er andere gar nicht beachtet? Bellt er in bestimmten Situationen mehr als in anderen? Und: Hat er vielleicht Schmerzen, die ihn in den Wahnsinn treiben; und bellt er deshalb so viel?

Wenn du deinen Hund nun nur anschnauzt, weil er bellt und du das jetzt aber nicht hören willst, wird er es nicht verstehen. Für ihn sieht es dann aus, als wolltest du ihn nur sinnlos terrorisieren. Dabei will er dir vielleicht nur etwas (aus seiner Sicht womöglich Super-Wichtiges) mitteilen?

Beispiel: Mein Hund zieht IMMER an der Leine!

Wirklich IMMER? Er wird also an der Leine festgemacht; und er zieht los ... und zwar bis er wieder von der Leine abgemacht wird? Ohne jegliche Unterbrechung?

Oder zieht er dich, wenn er in eine bestimmte Richtung will? Zieht er, weil du für seinen Geschmack zu langsam bist? Zieht er, weil es hier gerade sehr langweilig für ihn ist? Zieht er vielleicht nur, wenn er besonders aufgeregt ist? Zieht er in bekannten Gegenden eher als in fremden? Oder umgekehrt? Zieht er am Anfang des Spaziergangs mehr als am Ende? ... Beobachte es! Schreibe es dir ein paar Tage oder Wochen lang genau auf! Schreibe dazu, was du außen herum noch machst: Wann bekommt er sein Futter, wann und wieviel Beschäftigung, wann und welche Aufmerksamkeit für den Hund, ... und, und, und. Finde heraus, WANN GENAU dein Hund an der Leine zieht! Es gibt viele Gründe, und etliche davon brauchen ganz andere Lösungen als "Leinen-Arbeit".

Tipp Das Ziehen an der Leine ist, so unglaublich das für dich vielleicht jetzt noch klingen mag, in aller Regel ein nebensächliches Problem. Meist liegt das eigentliche Problem an völlig anderer Stelle. Löse die anderen Probleme; dann löst sich dieses von ganz allein. Du hast keine Idee, was "die andere Stelle" sein könnte? Dann schau mal in das Kapitel zum Respekt!

Beispiel: Mein Hund hört NIE auf mich!

Also ganz ehrlich: Wenn der Hund länger als etwa 4 Wochen bei dir ist und wirklich "NIE!" hört, würde ich ihn abgeben. Dann stimmt entweder mit dir oder mit dem Hund etwas nicht. Doch in 99,99% aller Fälle hört der Hund eben doch auf seine Futterspender und Leinenhalter. Nur NICHT IMMER.

Ein Beispiel gefällig? Geh in die Küche oder zu seinem Futternapf und rufe deinen Hund zu dir. Kommt er angeflitzt? Oder nimm unbemerkt sein Lieblingsspielzeug, rufe freudestrahlend den Namen deines Hundes und wedle in Sichtweite mit dem Spielzeug. Kommt er? Siehst du!

Beobachte zunächst ganz genau, was du machst, wenn du ihn rufst! Wie ist dein Tonfall? Wie ist deine Körpersprache? Sei wirklich selbstkritisch dabei! Rufst du verärgert, weil er mal wieder nicht hört? Zeigt deine Körpersprache Drohung, weil du frustriert bist? Und dann beobachte den Hund! Ist er gerade intensiv beschäftigt? Wie weit ist er weg, wenn du ihn rufst? Gibt es Ablenkungen für ihn, die ihn motivieren könnten, sicher irgendwann, aber eben nicht genau jetzt zu dir zu kommen? Je genauer du die jeweiligen Situationen beschreiben kannst, desto einfacher wird es, deinem Hund beizubringen, dass große Ohren gut zum Hören sind.

Dieses Problem ist meistens sehr vielschichtig und nicht mal eben im Handumdrehen zu lösen. Deshalb ist es mega-wichtig, dass du so genau, wie nur irgend möglich, beschreiben kannst, in welchen GANZ KONKRETEN Situationen dein Hund auf dich hört; und in welchen eben nicht.

Nimm dir die Zeit, die es braucht!

Fast immer haben sich die Probleme über Monate und Jahre eingeschlichen. Nimm dir die Zeit, die es braucht, um GANZ GENAU herauszufinden, was das eigentliche Problem ist! Auch, wenn es vielleicht Tage oder Wochen dauert. Darauf kommt es jetzt nach Monaten und Jahren der Probleme auch nicht mehr an. Beobachte! Notiere! Suche die wahre Ursache! Nur dann wirst du auch eine gute und praktikable - und vor allem: funktionierende - Lösung finden.

Und wenn auch du - wie die meisten, die Probleme haben - MEHRERE PROBLEME mit deinem Hund hast: Schaue dir ALLE Probleme an, bevor du anfängst, eines davon lösen zu wollen! Praktisch immer hängen sie alle irgendwie zusammen. Und dann ist es sehr viel zeit- und kraftsparender FÜR EUCH BEIDE, wenn du dich der wichtigeren Probleme zuerst annimmst. Denn so manches Problem verschwindet von ganz allein, sobald die wichtigeren Probleme angegangen werden. Und das aller-aller-allerwichtigste Problem, an dem (fast) alle anderen Probleme hängen, ist oft

fehlender Respekt.