Hilfe! Ich habe einen Problem-Hund!

Wann immer unser Hund ernsthaft problematisches Verhalten zeigt, neigen wir schnell dazu, zu sagen:

"Warum ich?
Warum muss ausgerechnet ich
so einen problematischen Hund haben?"

Dabei sind die Ursachen für Hunde-Probleme, die aus unserem Hund einen Problem-Hund machen, ziemlich vielfältig und keineswegs einfach nur auf den Hund abschiebbar. Vielmehr ist es in den allermeisten Fällen (zumindest in fast allen lösbaren Fällen) ursächlich auf Fehlverhalten des Halters zurückzuführen.

Doch wir wollen uns nicht in Schuldzuweisungen ergehen, sondern Lösungen für unsere Probleme finden, nicht wahr?! Dazu bedarf es aber eines gerüttelten Maßes an ehrlicher Reflexion. Die folgenden Fragen können dir dabei helfen, das eigentliche Problem zu finden und zu beschreiben. Je genauer du die Fragen beantwortest, desto leichter wirst du also eine funktionierende Lösung für deine Probleme finden.

Absolut ehrlich - oder gar nicht! Wenn du das Problem wirklich lösen willst, musst du absolut ehrlich sein. Nur, wenn du die wahre Ursache des Problems findest, kannst du auch eine funktionierende Lösung dafür finden.

Beschreibung des Problems

Um eine Lösung finden zu können, ist es sicherlich verständlich, dass man erst mal versucht, herauszubekommen, WAS GENAU eigentlich das WAHRE PROBLEM ist. Dazu brauchen wir Zettel, Stift und ein bisschen Ruhe, um nachdenken zu können.

Lasse dir von Freunden und Bekannten helfen! Die Analyse des Problems wird umso schwieriger, je tiefer man selbst emotional drinsteckt. Lasse dir daher von Freunden und Bekannten, die dich und deinen Hund kennen, helfen. Je objektiver und ehrlicher ihr das Problem analysiert, desto leichter wird später der Lösungsansatz.

Beschreibe das Problem so genau wie möglich!

Frage 1: Was genau ist das Problem?

Keine vagen Beschreibungen! Butter bei die Fische! Was, ganz konkret, ist das Problem?

Beschreibe das Problem so genau, wie irgend möglich. Nicht "Der Hund zerbeißt meine Möbel.", sondern "Jedes Mal, wenn ich länger als 2 Stunden nicht zu Hause bin, knabbert mein Hund an Tür- und Fensterrahmen. Bis 2 Stunden geht es sonst meistens." Je genauer du dein Problem beschreiben kannst, desto zielgerichteter kann die Lösung werden.

  1. Wie genau äußert sich das Problem? (Was geschieht genau?)
  2. Wann genau tritt das Problem auf? (In welchem Zusammenhang?)
  3. Wo genau tritt das Problem auf? (Ort!)

Wichtig ist auch das Verhalten deines Hundes vor und nach dem Problem: Gibt es irgendwelche Auffälligkeiten? Schaukelt der Hund sich allmählich auf? Oder liegt er eben noch friedlich da und dreht urplötzlich durch?

Frage 2: Gibt es eine Vorgeschichte?

Es gibt kein einziges Problem, das "aus dem Nichts" kommt: Es gibt IMMER eine Vorgeschichte - Welches ist eure?

  1. Wann ist das Problem zum ersten Mal aufgetreten? (Tage, Wochen, Monate, Jahre?)
  2. Warum tritt das Problem auf?
  3. Was habe ich bisher getan, um das Problem zu lösen?

Diese Fragen sind schon ein bisschen schwieriger. Versuche trotzdem, so genau, wie möglich, zu antworten. Wenn das Problem eigentlich schon seit Jahren besteht, dann gib es eben zu! Du willst es ja jetzt ändern. Also vertusche und verheimliche nichts!

Die Frage nach dem "Warum?" ist dabei besonders schwierig, nicht wahr?! Doch auch - und gerade - wenn das Problem schon länger besteht, solltest du noch einmal sehr genau aufpassen: Was könnten die wahrscheinlichsten Ursachen sein? Was machst DU, was dein Hund möglicherweise auf diese Weise "beantwortet"?

Frage 3: Wie sieht euer Alltag aus?

Um noch genauer beschreiben zu können, wie das Problem aussieht und woher es kommt, solltest du auch euren normalen Alltag beleuchten:

  1. Wie sieht eure normale Alltags-Routine konkret aus?
  2. Wie steht es um die körperliche Auslastung deines Hundes?
  3. Wie steht es um die geistige Auslastung deines Hundes?
  4. Respektiert der Hund den eigenen Halter und Haupt-Dosenöffner?
  5. Respektiert der Hund die eigenen Familienmitglieder?

Diese Fragen sind noch allgemeiner. Doch sie sind wichtig, um das Bild abzurunden: Ist das Problem eher eng begrenzt? Oder ist das Problem, das du gern lösen möchtest, vielleicht gar nicht soooo wichtig und lässt sich "von ganz allein" lösen, wenn man andere - möglicherweise wichtigere Probleme - zuerst in Angriff nimmt?

Problem-Hund oder Hunde-Problem?

Im zweiten Teil der Problem-Analyse schauen wir genauer auf den Hund.

Ist es ein Problem-Hund oder ein Hunde-Problem?

Frage 4: Sind es vielleicht rasse-typische Verhaltensmerkmale?

Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt, an dem du dich mit der Rasse bzw. dem Rasse-Mix deines Hundes näher beschäftigen musst. Denn jetzt wollen - und müssen - wir herausfinden, ob es sich vielleicht um rasse-typisches Verhalten handeln könnte.

Ein Jagdhund bleibt immer ein Jagdhund. Er wird also instinktiv viel schlechter hören, sobald er erst mal die Spur von etwas aufgenommen hat. Daran wirst du nur wenig ändern können. Aber es wird dich zeit seines Lebens begleiten.

Einige Rassen wurden auf große Selbständigkeit gezüchtet. Dazu gehören etliche Jagd- aber auch Hüte-, Wach- und Schutz-Rassen. Diesen Hunden fällt es viel schwerer, auf Kommandos zu reagieren. Stattdessen haben sie einen eigenen Plan im Kopf, dem sie instinktiv bevorzugt folgen. Auch das wirst du nie wirklich ändern können. Du kannst es sicherlich etwas eindämmen; aber los wirst du es nie ganz.

Frage 5: Sind es erlernte Verhaltensmuster?

Im Gegensatz zu den eben betrachteten rasse-typischen Verhaltensmustern gibt es auch noch die erlernten Verhaltensweisen. Dabei handelt es sich um Verhalten, das der Hund - auf welche Weise auch immer - GELERNT hat.

Nervt dein Hund bettelnd am Tisch? Sabbert er dir die Hose voll, während du versuchst, in Ruhe und möglichst unbeobachtet zu frühstücken? DAS IST erlerntes Verhalten. Und das kann man sehr wohl abstellen.

Schwieriger wird es jedoch, wenn wir beispielsweise "Buddeln im Garten" betrachten. Hier kann es durchaus eine bunte Mischung von Rasse-Verhalten und erlerntem Verhalten sein. Beispielsweise ist der Norfolk Terrier einst zur Mäusejagd gezüchtet worden. Diesem Hund liegt das Buddeln so tief im Blut, dass er es niemals abstellen kann. Wenn jedoch ein, sagen wir, Rottweiler leidenschaftlich den Garten umgräbt, dann kannst du sicher sein, dass er keine Zucht-Gründe als Ausrede benutzen kann.

Frage 6: Gibt es vielleicht hormonelle Gründe?

Manchmal zeigt unser Hund auch unerwartetes oder unerwünschtes Verhalten, weil seine Hormone Samba tanzen.

Ein Junghund in der Pubertät ist genauso, wie ein menschlicher Teenager: Unerträglich ungehorsam. Komplett lernresistent. Vollständig taub. Nicht immer. Aber völlig unberechenbar. Daran können wir nix ändern. Das ist nun einmal so. Uns bleibt aber der Trost, dass das vorbei geht. Sehr schnell sogar. Denn anders als menschliche Teenager sind Hunde mit ihrer pubertären Phase etwa nach 12-15 Monaten durch.

Entsprechendes gilt natürlich, wenn der Fortpflanzungstrieb ruft. Ein gesunder Rüde wird selbstverständlich ein, zwei oder drei Augen auf eine läufige Hündin werfen. Im Gegensatz zu volkstümlichen Gerüchten ändert daran auch eine Kastration nicht unbedingt etwas. Sie kann das Problem vielleicht abschwächen, doch sie muss es nicht automatisch beheben.

Frage 7: Welcher Reiz löst das problematische Verhalten aus?

Jetzt kommen wir zum Eingemachten: Mussten wir bisher die Antworten hauptsächlich aus dem Internet oder vom Tierarzt zusammensuchen, brauchen wir jetzt unsere wissenschaftliche Beobachtungs-Gabe: Was - GENAU - ist der Auslöser des falschen Verhaltens?

Schaue dir dazu noch einmal die allererste Frage ("Was genau ist das Problem?") an. Das ist unsere Ausgangsbasis. Doch jetzt brauchen wir sehr viel genauere Informationen:

Was genau ist es, das unseren Hund zu diesem Verhalten bringt?

Das ist manchmal eine verdammt schwierige Frage. Am besten machst du dir jedes Mal, wenn das Fehlverhalten auftritt, Notizen, was gerade passiert ist, kurz bevor dein Hund loslegte. So kannst du schnell ein Muster erkennen. Und wenn du das erst mal gefunden hast, dann ist die Lösung nicht mehr weit...

Hund bellt mal wieder: Radfahrer kommt vorbei; Hund bellt schon wieder: ein Motorrad kommt vorbei; ...

Frage 8: Verstärkt der Halter das Problem?

Das ist wohl die härteste Nuss überhaupt. Denn jetzt müssen wir zur ehrlichen Selbstkritik greifen: "Kann es sein, dass wir selbst das Problem verstärken oder sogar auslösen?"

Beispiel Unser Hund reagiert aggressiv auf fremde Hunde. Also nehmen wir ihn kurz und versuchen, ihn zu beruhigen. Wir reden beruhigend auf ihn ein. Doch GENAU DAS verstärkt(!) das Fehlverhalten unseres Hundes. Denn in seinen Ohren ist das, was du da machst, keine "Beruhigung", sondern ein "Aufhetzen". Er glaubt, dass du ihn anfeuerst. Er glaubt, dass er auf dem richtigen Weg ist ... und wird daher nicht aufhören, sondern sich sogar bestärkt sehen.

Beispiel Unser Hund bettelt am Tisch. Wenn er auch nur eine kleine Chance sieht, tatsächlich etwas von uns abzubekommen, dann wird er für dieses Verhalten belohnt. Die Folge davon? Er VERSTÄRKT das Betteln. Und selbst, wenn du jetzt versuchst, hart zu bleiben, wird er das Betteln NOCH MEHR VERSTÄRKEN. Denn er hatte schon mal Erfolg damit. Also wird er es auch noch eine ganze Weile weiter versuchen. Und wenn du dann zwischendurch - auch nur EIN EINZIGES MAL (und sei es auch nur versehentlich, weil dir etwas vom Tisch fällt) - weich wirst, dann wird er sich sogar NOCH MEHR BESTÄRKT sehen.

Beispiel Unser Hund hört nicht auf den Abruf. Das kann natürlich viele Ursachen haben, doch eine der häufigsten Ursachen ist schlicht die Tatsache, dass wir uns ungeduldig zeigen, wenn der Hund endlich doch zu uns kommt. Anstatt ihn zu belohnen und uns zu freuen, leinen wir ihn wortlos an (= Strafe für den Hund) und zerren ihn nach Hause (= noch 'ne Strafe für den Hund, wenn das Spiel gerade so schön war). Logisch, dass der Hund dann natürlich nur ungern dem Abruf folgen mag. Aus seiner Sicht kann er dabei nur verlieren. Und wir bestärken ihn auch noch in diesem Glauben. Unbewusst, sicherlich. Aber welches Problem verursachen wir schon absichtlich?

Wenn du unsicher bist, ob du das Verhalten bestärkst oder sogar auslöst: Gehe davon aus, das du es tust! Fast immer spielt der Halter eine zentrale Rolle, wenn es um problematisches Verhalten von Hunden geht.

Jetzt, und wirklich ERST JETZT, suchen wir eine passende Lösung

Ja, das ist eine ganze Menge Holz. Aber nur dann, wenn wir uns so ehrlich und objektiv wie möglich der Suche nach den Ursachen des Problems widmen, können wir auch eine gute und funktionierende Lösung finden.

Nichts anderes macht übrigens ein "Hunde-Trainer". Auch er wird notwendigerweise herauszufinden versuchen, wo genau das Problem eigentlich beginnt, und was es verursacht.

Warum es nicht reicht, einfach das Problem zu beheben?

"Wenn mein Reifen platt ist, ist mir doch auch egal, ob das wegen eines Nagels oder wegen einer Schraube passiert ist. Das Loch muss geflickt werden, damit der Reifen wieder funktioniert. Warum sollte das beim Hund anders sein? Warum nicht einfach das Problem lösen; und gut is'?!'"

Das stimmt für Spielzeuge und Technik. Doch schon beim Menschen versagt es. Natürlich kann man dir jedes Mal einfach einen zerquetschten Finger amputieren, wenn du mal wieder mit dem Hammer draufgeschlagen hast. Aber das klappt nur 10 Mal. Besser wäre doch, herauszubekommen, WARUM du so nachhaltig deine Finger kaputtschlägst; um es nachhaltig zu verhindern und dir wenigstens 9, 8, 7 Finger zu erhalten, oder?!

Wir wollen Probleme LÖSEN, nicht Symptome bekämpfen.

Wenn wir also beim Hund nicht herausbekommen, WARUM er das macht, dann lösen wir das Problem nicht. Stattdessen behandeln wir nur das Symptom. Und unter dieser Decke wird das Problem immer schlimmer. Deshalb MÜSSEN wir das zugrunde liegende Problem finden. Und wenn wir DAS LÖSEN, dann lösen wir auch gleichzeitig alle seine Symptome mit einem Schlag. Und fast immer hat das eine Kettenreaktion zur Folge, denn viele Probleme im Verhalten unserer Hunde hängen miteinander zusammen. Bekommen wir also die Ursache eines Problems in den Griff, können wir in einem Rutsch gleich die Symptome vieler scheinbar völlig unterschiedlicher Probleme unseres Hundes lösen.

Deshalb: Gib dir große Mühe bei der Ursachen-Forschung! Deinem Hund zuliebe.