Impulskontrolle: Übung 2 - »Nimm!«

Das ist die zweite Übung in unserer Trainingsserie Impulskontrolle.

Diese Übung ist etwas komplexer und anspruchsvoller als die erste. Doch je mehr Grundvertrauen dein Hund bereits in dich hat, desto schneller werdet ihr auch hier gute Erfolge haben. Daher ist es sehr sinnvoll, zuerst die Übung 1: »Schau mich an!« erfolgreich zu üben, bevor ihr hier anfangt.

Zur Belohnung für den erhöhten Schwierigkeitsgrad dieser Übung eröffnet sich dir aber anschließend eine ganze Welt von Möglichkeiten:

Diese Übung ist die Grundlage für zahllose Tricks, die dein Hund lernen kann. Sie hilft, den Spaziergang spannender zu gestalten. Und sie ist eine mögliche Basis für das "Anti-Aggressions-Training" bei fremden Hunden, Radfahrern, Joggern, Autos, etc.

Ziel der Übung

Ziel dieser Übung ist es, dass der Hund lernt auf das Kommando »Nimm!« zu warten, bevor er sich auf Leckerlie, Futter oder Spielzeug stürzen darf.

Dauer des Intensivtrainings? Wenn ihr die Übung 1 bereits erfolgreich absolviert habt und weiterhin täglich übt, braucht ihr für diese Übung maximal 1 Woche.

Der Nutzen im Alltag

Das ist vorrangig eine Selbstbeherrschungs-Übung. Da der Hund hier sehr starke natürliche Instinkte im Zaum halten muss, kostet es ihn sehr viel geistige Kraft.

Und da die Übung selbst nur ca. 1-2 Minuten in Anspruch nimmt, lässt sie sich wirklich super-leicht in jede Art von Aktivität integrieren, wo Konzentration oder "Runterfahren" gefragt sind. Beispielsweise kannst du sie sehr gut in ALLE Spaziergänge einbauen, um deinen Hund geistig auszulasten.

Vorbereitung

Leckerlie: Wie fast immer brauchen wir auch hier ein prall gefülltes Säckchen mit Leckerlie. (Alternative: Hier kann sich der Hund einen Teil seiner "normalen Tagesration" an Futter verdienen.)

Leine? Yep. Bei dieser Übung brauchen wir keine Bewegungsfreiheit. Eine normale Leine oder eine Schleppleine sind perfekt ... und sollten genutzt werden. Nur für den Fall der Fälle.

Ruhe: Diese Übung muss zwingend mit sehr geduldiger Ruhe ausgeführt werden. Je unruhiger unser Hund ist, desto mehr Ruhe müssen wir selbst bewahren. Deshalb suchen wir uns auch einen Platz mit möglichst wenig Ablenkung.

Konsequenz & Geduld: Natürlich! Wie immer. Nie laut. Aber immer geduldig Disziplin einfordernd.

Profi-Tipp: Hunger! Ein hungriger Hund ist ein gelehriger Hund. Gib deinem Hund vor dieser Übung 12-24 Stunden lang nichts zu fressen. (Wasser bekommt er jedoch so viel er will!)

Beginn der Übung

Auch für diese Übung brauchen wir mindestens am Anfang absolute Ruhe. Suche dir einen Platz mit möglichst wenig Ablenkung (keine Fußgänger, keine Hunde, etc.). Am besten eine große, leere Wiese.

Und da wir einen super-entspannten Hund haben möchten, machen wir in den nächsten 10 Minuten erst mal ... gar nix. Überhaupt nix. Wir sitzen nur herum. Und wir erzählen unserem Hund mit monotoner und leiser Stimme, was wir gleich machen werden. Dabei streicheln wir ihn ganz ruhig und entspannt.

Er schläft fast ein? Gut so! Das ist genau die Stimmung, die wir haben wollen.

Schritt 1: Leckerlie zeigen

In diesem Schritt können wir einfach sitzenbleiben. Wir legen ein Leckerlie auf die Handfläche unserer Hand und zeigen es dem Hund.

Der Hund bemerkt es nicht? Dann führen wir die offene Hand vor seine Augen und - sobald die Aufmerksamkeit aufs Leckerlie gerichtet ist - wieder zurück zwischen uns und den Hund.

Sobald der Hund spitzbekommt, dass wir jetzt zum leckeren Teil des Tages übergehen, hat er zwei Reaktionsmöglichkeiten. Die schauen wir uns beide nachfolgend an.

Schritt 1 - Reaktion A: Er versucht es zu nehmen

Unser Hund versucht nun, das so offen präsentierte Leckerlie zu nehmen.

Das verhindern wir, indem wir die Hand wie eine Auster schließen. Kein Wort. Keine Geste. Keine andere Reaktion. Nur die Hand schließen. Dabei bleibt die Hand, wo sie gerade war.

Je nach Temperament unseres Hundes wird der nun erst einmal eine Weile experimentieren, wie er doch noch an das Leckerlie herankommen könnte. Aber wir lassen die Hand einfach geschlossen und warten das Ergebnis seiner Untersuchung still und geduldig ab.

(Manche Hunde brauchen am Anfang ein bisschen länger, bis sie begreifen, dass da wirklich kein Rankommen ist. Gib deinem Hund die Zeit, die er braucht, um diese Erfahrung selbst machen zu können. Das ist eine wichtige Lektion für ihn.)

Schritt 1 - Reaktion B: Er wartet, was passiert

Ganz egal, ob unser Hund den Umweg über die Reaktion A genommen hat oder direkt hierher gelangt ist: Er steht, sitzt oder liegt da und starrt nun auf die Hand.

Wenn wir den Umweg üder die Reaktion A genommen haben, öffnen wir jetzt die Hand wieder. Dann warten wir selbst. Versucht unser Hund erneut, das Leckerlie zu bekommen, schließt sich die Hand ebenfalls wieder.

Unternimmt unser Hund mindestens 5 Sekunden lang keinen Versuch, das Leckerlie zu bekommen, schieben die Hand nahe ans Maul unseres Hundes, so dass er das Leckerlie nehmen kann, und sagen GLEICHZEITIG leise

»Nimm!«

Nicht mehr. Nur »Nimm!« (oder »Bitte!«; oder was dein Kommando für die Erlaubnis, etwas zu nehmen, sein soll.) Kein anderer Laut. Kein anderes Geräusch. Keine Bewegung.

Schritt 2: Schritt 1 unendlich oft wiederholen

Diesen Übungs-Schritt 1 wiederholen wir nun so oft, bis wir absolut sicher sein können, dass unser Hund auf das »Nimm!«-Kommando wartet.

Unser Ziel für diesen Übungsschritt ist, dass unser Hund bei geöffneter Hand mindestens 30 Sekunden lang auf das »Nimm«-Kommando warten kann. Erst danach machen wir mit den nächsten Schritten weiter. (Ja, das wird vermutlich 2-3 Tage dauern. Aber niemand treibt euch. Lasst euch die Zeit, die ihr braucht. Der Erfolg ist wichtig. Nicht die Geschwindigkeit.)

Dein Hund schlägt schneller als eine Schlange zu und erwischt das Leckerlie ungewollt? Kommentiere das nicht! Bestrafe es nicht! Ignoriere es stattdessen! Und vergrößere den Abstand deiner Hand zum Hund ein bisschen. Dann hast du mehr Reaktionszeit zum Schließen der Hand.

Erfolg ist wichtig! Missglücken mehrere Versuche, musst du also die Hand mehrmals hintereinander schließen, dann verkürze die Zeitspanne bis zum erlösenden »Nimm«-Kommando.

Mehrmals erfolgreich? Gelingen mehrere Versuche hintereinander(!), dann verlängere die Zeitspanne bis zum erlösenden »Nimm!«- Kommando. (Faustregel: 5-Sekunden-Schritte machen!)

Erfolgskontrolle für Schritt 1

ALLE nachfolgenden Übungsschritte und Übungen bauen darauf auf, dass es uns wirklich sicher gelingt, das Leckerlie mindestens 30 Sekunden lang in der offenen Hand behalten zu können; und dass der Hund erst auf das »Nimm!«-Kommando "zuschlägt".

  1. Die Hand kann offen bleiben. IN REICHWEITE DES HUNDES. Bis zum »Nimm!«-Kommando.
  2. Wir erreichen mit absoluter Sicherheit JEDES MAL (ohne Ausnahme!) mindestens 30 Sekunden.

BEIDE Punkte noch nicht ganz erreicht? Weiterüben! Niemand treibt uns. Allein der Erfolg zählt.

BEIDE Punkte ganz sicher erreicht? Dann können wir uns an die nächsten Schritte wagen. Doch kehre lieber wieder zu Schritt 1 zurück, wenn du Rückschläge erlebst!

Es ist wirklich wichtig, dass wir dieses Verhalten als "Normalität" festigen. Nur dann werden wir auch gute Erfolge in den weiteren Schritten und aufbauenden Übungen haben. Im Zweifel also lieber freiwillig einen oder zwei Schritte zurück, als zu schnell vor, den ganzen Erfolg versauen und Frust- statt Lust-Erlebnisse haben.

Schritt 3: Wir erhöhen den Schwierigkeitsgrad

Bisher konnten wir den Erfolg ganz einfach kontrollieren. Wir hatten es ja im wahrsten Sinne des Wortes selbst in der Hand. Das ändern wir jetzt.

Voraussetzung: Finde eine freie Stelle auf der Wiese. Du kannst auch ein großes Blatt, ein Brett oder eine Frisbee-Scheibe nehmen. Darauf legen wir gleich das Leckerlie. Und der Hund soll es SEHEN KÖNNEN.

Bereit? Dann kann es losgehen!

Wir legen das Blatt, das Brett, die Frisbee-Scheibe etwa 1 Meter entfernt vom Hund hin. Darauf legen wir einen kleinen Haufen Leckerlie (oder eine kleine Hand voll normales "Tages-Futter"; so verdient er sich gleich sein Futter selbst).

Dann ziehen wir die Hand zurück, bleiben aber direkt daneben hocken. Wenn Schritt 1 wirklich sicher funktioniert, dann wird der Hund nun zwischen uns und dem Leckerlie/Futter hin und her schauen und sehr dringend auf das erlösende »Nimm!«-Kommando warten.

Warte damit anfangs nicht zu lange! Für den Anfang reichen wieder 5 Sekunden. Wichtig ist, dass du dem Impuls deines Hundes zuvorkommst! (Wenn du nicht mal 5 Sekunden schaffst, kehre jetzt UNBEDINGT zu Schritt 1 zurück!)

Schritt 4: Schritt 3 unendlich oft wiederholen

Du ahnst es schon. Wieder einmal gilt: Festigen! Festigen! Festigen! Erst dann weitermachen.

Wiederhole den Schritt 3 so oft, bis er wirklich 100%ig sicher klappt. Je sicherer es jetzt funktioniert, desto leichter haben wir es in den nächsten - und entscheidenden - Schritten.

Schritt 5: Noch schwieriger

Wir wiederholen den Schritt 3 mit einer einzigen - aber sehr wichtigen - Änderung:

Nachdem wir das Leckerlie/Futter auf dem Blatt/Brett/Frisbee deponiert haben, entfernen wir uns RÜCKWÄRTS ein kleines Stück davon. (Faustregel: max. 0,5 Meter pro erfolgreichem Durchlauf)

Beim Entfernen vom Leckerlie/Futter behalten wir UNBEDINGT den Hund frontal im Blick; gehen also rückwärts weg. Und wir entfernen uns ganz bewusst super-langsam im Schneckentempo.

Je weiter wir uns selbst vom Leckerlie bzw. Futter entfernen, desto weniger eigenen Anspruch erheben wir darauf in den Augen unseres Hundes.

Und wenn darauf kein Anspruch gelegt wird, dann ist es "zum Verzehr freigegeben". Dann hält unseren Hund nur noch seine - und unsere - Willensstärke davon ab, sich sofort darauf zu stürzen.

Erfolg ist wichtiger als Geschwindigkeit! Überfordere deinen Hund nicht, indem du dich zu schnell zu weit entfernst und/oder zu lange mit dem »Nimm!«-Kommando wartest.

Erfolgskontrolle für Schritt 5

Schritt 5 ist ein kritischer Schritt bei dieser Übung. Und es kann nicht oft genug wiederholt werden:

Erfolg ist wichtiger als Geschwindigkeit!

Übe lieber 10 Mal erfolgreich den Abstand von 0,5 Metern, als einmal Misserfolg bei 3 Metern zu haben.

Jeder Rückschlag tut hier richtig weh; denn der Hund sucht logischerweise für sich immer den einfachsten Weg. Hat er einmal Erfolg mit einer "Abkürzung", wird er das in der Zukunft häufiger versuchen. Hat er sogar mehrmals Erfolg mit der "Abkürzung", wirst du im schlimmsten Fall wieder von vorn anfangen müssen.

  1. Wir können das Leckerlie bzw. Futter ablegen.
  2. Wir können uns bis zu 5 Meter (oder bis zur Länge der Leine; je nachdem, was kürzer ist) sicher entfernen
  3. Der Hund wartet absolut sicher in 100% aller Fälle auf das »Nimm!«-Kommando.
  4. Wir können bis zu 30 Sekunden mit dem »Nimm!«-Kommando warten.

Übt das so lange, bis es wirklich sicher klappt. Ja, das ist anstrengend und mühsam. Doch wenn ihr DAS geschafft habt, dann eröffnet sich euch damit eine ganze Welt von Möglichkeiten.

Unendliche Möglichkeiten

Von jetzt an habt ihr unendliche Möglichkeiten, diese Impulskontrolle auszubauen.

Beispielsweise kannst du von hier aus zu beliebigen Kunststückchen, Tricks & Spielen aufbauen. (Wie wäre es beispielsweise mit dem »Rate mal in welcher Hand das Leckerlie ist?«-Spiel? Oder mit dem »Unter welchem Eimer liegt das Leckerlie?«-Spiel?)

Du kannst diese Impulskontrolle aber auch benutzen, um deinen Hund beispielsweise von "bösen Radfahrern" und "noch böseren Joggern" abzulenken.

Du kannst es natürlich auch in jeden Spaziergang einbauen, um ihn interessanter und abwechslungsreicher zu gestalten.

Und nicht zuletzt ist es ein gutes "Schlecht-Wetter"-Spiel: Man kann es super in der Küche oder im Flur trainieren. (Sogar mit nochmals erhöhtem Schwierigkeitsgrad, wenn man in einem anderen Raum "außer Sicht" verschwindet.)

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