Bestrafung nach der Tat? Sinnlos! Und kontraproduktiv.

Oh ja! Es ist eine absolut menschliche Reaktion: Verärgerung, Frust, ja, sogar Wut, wenn etwas falsch gemacht wird.

Und für uns Menschen ist es nur natürlich, dieser Verärgerung Ausdruck zu verleihen: Wir falten den anderen Menschen auf Briefmarken-Größe zusammen. Wir schimpfen mit ihm. Wir erklären ihm ausführlich, was uns nicht gepasst hat; und warum es falsch war.

Wir kennen das Konzept: Straftat begehen - Gefangen werden - vor Gericht gestellt werden - BESTRAFT WERDEN. Hunde nicht.

Doch versetzen wir uns mal in den Hund: Hunde reden nicht. Sie diskutieren nicht. Und du wirst NIEMALS erleben, dass sich ein Rudelführer hinstellt und sagt: "So Leute, das eben war richtig Scheiße. Wir müssen reden!", oder dass er gar zu einem Rudelmitglied hingeht und es windelweich prügelt, weil es vorhin bei der Jagd einen Fehler gemacht hat.

Für Hunde ist es eine völlig absurde Vorstellung, dass man "vorhin" etwas getan haben könnte: Für sie gibt es nur - und wirklich ausschließlich - das "Hier & Jetzt"; also genau diesen Augenblick, der gerade stattfindet. Es gibt für sie keine Vergangenheit und keine Zukunft. Nur die Gegenwart, die genau JETZT passiert.

Deshalb macht "Bestrafen" für Hunde überhaupt keinen Sinn. Im Gegenteil: Es schadet eurer gemeinsamen Beziehung ausschließlich. Was hingegen sehr wohl Sinn macht:

Zurechtweisung WÄHREND der Tat

Also die Korrektur des AKTUELLEN Handelns des Hundes. Genau dann, wenn er es macht. Und nicht durch Prügel oder Brüllen, denn wir wissen bereits: Wer prügelt oder laut werden muss, ist unecht dominant. Sondern durch - idealerweise - deine Körpersprache (ja, das funktioniert durchaus, wenn auch nicht immer), deine Stimme (ein etwas schärferer, nicht lauterer, sondern militärischerer Tonfall) und zuletzt auch durch kurzes und zielgerichtetes Eingreifen, etwa ein physisches Abdrängen des Hundes oder Versperren seines Weges, wenn er beispielsweise an uns vorbeilaufen will, obwohl er das nicht soll.

Warum ist das so?

Machen wir dazu mal ein Beispiel:

Angenommen, du befindest dich im Amazonas in einem Dorf der dortigen Eingeborenen. Und du hast, sagen wir, Hunger. Also isst du etwas.

Doch zwei Stunden später entdecken die Einwohner den leeren Teller. Und plötzlich kreischen alle Einwohner entsetzt auf. Obendrein kommt der Dorf-Chef zu dir und verprügelt dich, dass dir Hören und Sehen vergeht. Dabei redet er die ganze Zeit auf dich ein. Dummerweise verstehst du aber kein einziges Wort.

Aus der Sicht der Einwohner hat man dich bestraft und diszipliniert. ... Doch wie sieht es mit deiner Sicht aus? Hast du verstanden, was du falsch gemacht hast?

War es das Essen? Oder hast du einfach nur gerade am falschen Ort gestanden? Wenn es das Essen war: War es der Zeitpunkt des Essens? Hättest du um diese Zeit nicht essen dürfen? War das vielleicht gar kein "Essen", sondern die geplante Gabe für die Götter, die du da verspeist hast? Oder lag es daran, dass du nicht vor dem Essen die Götter gepriesen hast; dass du nun also Unglück über das Dorf bringst?

Du weißt es nicht, oder?! ... Wie kannst du also wissen, wie du dich beim nächsten Mal, wenn du wieder Hunger hast, richtig verhalten sollst?

Die Dorf-Einwohner haben es dir gerade eben erklärt. Doch du hast kein einziges Wort verstanden. Und ihre "Bestrafung" erfüllt den Zweck offensichtlich auch nicht. Denn du weißt nicht, wofür genau du bestraft wurdest.

Kurz gesagt: Auch, wenn du noch so sehr bemüht bist, niemanden zu verärgern: Du hast - trotz Bestrafung - keine Ahnung, wie du es beim nächsten Mal richtig machen kannst.

Hunden geht es wie den Menschen

Da Hunde die menschliche Sprache und das menschliche Weltbild genauso wenig verstehen, wie du die Sprache und das Weltbild der Eingeborenen verstehst; geht es ihnen nicht anders als dir:

Werden sie erst nach einer Tat bestraft, wissen sie einfach nicht, wofür genau du sie bestrafen willst.

Angenommen, dein Hund hört mal wieder nicht, wenn du ihn rufst. Du wirst immer frustrierter, je länger er in der Entfernung herumturnt. Und du wirst immer sicherer: "Der will mich doch verarschen! Der weiß ganz genau, dass er herkommen soll, wenn ich ihn rufe. Wir haben das schon tausend Mal geübt."

Hunde sind Hedonisten. Sie suchen also das Glück und die Freude. Deshalb sind sie auch so anhänglich uns Menschen gegenüber. Deshalb sind sie so lernwillig. Deshalb lassen sie sich so leicht von uns kontrollieren. Es wird ihnen also absichtlich in die Gene gezüchtet. Sie können gar nicht anders.

Er wägt schlicht ab: Was finde ich jetzt besser? Was macht mich glücklicher? Noch ein bisschen Spielen? Oder zu Herrchen/Frauchen laufen?

Aber sicher doch. Nur bewirkt es das GEGENTEIL dessen, was du dir damit erhoffst. Der Hund bezieht deinen Ärger durchaus in seine Überlegungen ein: "Guck mal! Herrchen/Frauchen sind gerade missgelaunt. Das warte ich lieber in der Entfernung ab. In der Zwischenzeit kann ich hier noch ein bisschen Spaß haben."

Warum? Hunde kennen kein "Nachtragen". Für sie gilt ultimativ: SOFORT ODER NIE ZURECHTWEISEN, wenn etwas falsch läuft. Alles andere verstehen sie nicht. Daher KÖNNEN sie auch nichts anderes berücksichtigen. Selbst den Hund regelmäßig zu verprügeln, wenn er mal wieder nicht hört, würde daran nicht viel ändern.

Wenn du also stinkig wirst, dann FORDERST DU DEINEN HUND GERADEZU AUF, jetzt nicht auf dich zu hören. Seine Instinkte sagen ihm dann: "Warte einfach ab. Herrchen/Frauchen wird sich schon bald beruhigt haben. Dann kannst du immer noch hinlaufen."

Aber irgendwann kommt er nach Dutzenden Rufen schließlich doch zu dir. Du bist mittlerweile sowas von geladen, dass du explodierst, kaum dass er wieder vor dir steht: Du hältst deinem Hund eine Wut-Rede und schüttelst ihn am Halsband ordentlich durch.

Dein Hund steht nun da, wie ein begossener Pudel:

"Bestraft er/sie mich jetzt dafür, dass ich gekommen bin? Oder bin ich zu schnell oder zu langsam gekommen? War ich zu lange weg? Oder nicht lange genug? ... Herrgott noch mal: ICH WEISS ES NICHT.

Ja, ich sehe und merke es am eigenen Hals: Er/sie ist stinke-sauer. Doch warum? Was genau war mein Fehler? Was genau habe ich falsch gemacht?"

Dein Hund versteht - wie du im Beispiel aus dem vorigen Abschnitt - kein einziges Wort, das du da sagst. Er erkennt, dass du sauer bist. Doch er erkennt nicht, warum du sauer bist.

Und schlimmer noch: Dein Hund kommt zu dir und du bestrafst ihn. Bete zu deinem Gott, dass er nicht auf die Idee kommt, zu glauben, dass du ihn bestrafst, weil er zu dir gekommen ist!

Ich habe ihn doch gerufen. Also muss er herkommen. Nein. Nicht unbedingt. "Zurückkommen beim Rufen" ist ein Trick, den der Hund lernt. So, wie du eine Fremdsprache lernst. Für Hunde ist es natürliches Verhalten, sich am Rudel zu orientieren. (Deshalb schaut er dich zwischendurch auch immer wieder mal an.) Aber es ist nicht natürlich, dass er "auf Abruf zum Rudelführer antrabt". Und mit "Tricks" geht es ihm wie dir: Er macht sie nur, wenn er dafür den Nerv hat. Hat er den Nerv nicht, dann macht er sie gar nicht oder nur halbherzig.

Wie bestrafe ich richtig?

In beiden Beispielen oben haben wir die Sicht der Bestraften auf die Strafe veranschaulicht. Und beide Male sind wir zu der Erkenntnis gelangt: » Bestrafung nach der Tat ist völlig sinnbefreit. Da lädt einer seine Wut und seinen Frust ab. Mehr passiert nicht. Der Bestrafte kann daraus nicht lernen.«

Gibt es also überhaupt eine Möglichkeit der "richtigen Bestrafung"? Eine Bestrafung, die dem Bestraften die Möglichkeit gibt, daraus zu lernen? Und die Antwort lautet:

"Ja, die gibt es.
Doch anders, als du vermutlich denkst."

Wenn du Hunde beobachtest, wirst du NIEMALS erleben, dass ein Hund einen anderen Hund "hinterher" für irgendwas bestraft. Wenn sich ein Hund nicht an die Regeln hält, wenn er etwa allzu stürmisch herumtobt, dann wird er SOFORT zurechtgewiesen. Ein kurzes Knurren, vielleicht auch ein kurzes Schnappen nach dem allzu dreisten Hund ... und schon in der nächsten Sekunde toben beide wieder zusammen über die Wiese.

Wann ist eine Tat "vorbei"? Wann ist es also "zu spät für Strafe"? ... Nun, direkt am Ende der Tat. Und sobald der Hund etwas anderes macht, wird Strafe sogar noch schädlicher. Denn er verbindet die Strafe dann mit der neuen Handlung, nicht mit der, für die wir ihn eigentlich bestrafen wollen.

Es wird nichts nachgetragen. Nicht mal eine Minute lang. Und es wird auch nicht hinterher ausdiskutiert. Das Anknurren oder Schnappen ist der Aufruf zur Disziplin: "Du gehst zu weit. Übertreibe es nicht!" Und es erfolgt SOFORT, wenn die Regelübertretung droht oder gerade jetzt begangen wird.

Das reicht beiden. Denn nun weiß der gemaßregelte Hund: "Alles klar. Ich war zu stürmisch. Ich muss nur ein bisschen runterfahren, dann ist alles okay."

Wir lernen daraus: Wenn du willst, dass dein Hund dich wirklich versteht, dann mach's wie die Hunde! Nix mit "Das klären wir noch, mein Freund!" Stattdessen: "Alter! Übertreib's nicht!", um dem Hund zu zeigen: "Achtung! GENAU HIER & JETZT ist eine Grenze, die du nicht überschreiten solltest! Versuch's gar nicht erst, denn ich bestehe darauf, dass die Grenze eingehalten wird."

"Bestraft" wird SOFORT oder nie! Für die "Strafe" hast du nur so lange Zeit, wie das falsche Verhalten andauert.

Es ist besser, nicht zu bestrafen, als zu früh oder zu spät zu bestrafen! Verpasst du den richtigen Zeitpunkt, richtest du mit Strafen mehr Schaden als Nutzen an.

Verzichte auf jegliche körperliche Strafe! "Nicht loben" oder allein schon "den Hund mit Missachtung strafen" ist in den allermeisten Fällen Strafe genug für ihn.

Also ist "Bestrafen" generell sinnlos?

Ja, "Bestrafen" im Sinne des menschlichen Verständnisses von "Strafe" ist wirklich völlig sinnlos. Schlimmer noch: Bestrafen ist in den allermeisten Fällen sogar kontraproduktiv.

Dein Hund versteht das menschliche Prinzip von "Strafe" nicht. Aus seiner Sicht ist Strafe - womöglich auch noch verbunden mit körperlicher Gewalt, wie "Herumzerren an der Leine",  "Schütteln am Halsband" und ähnlichem Unfug - nichts anderes als Terror. Ganz besonders gilt das in allen Fällen, in denen er nicht absolut mega-hyper-giga-eindeutig erkennen kann, wofür er bestraft wird. (Also in allen Fällen, in denen wir nicht während der Tat eingegriffen haben.)

Und alles, was aus so einer "unberechenbaren Strafe" wird ist ... Angst. Angst vor deiner Willkür. Angst vor deinem Terror.  Angst vor dir.

Das einzige, was dein Hund wirklich verstehen kann, ist das ZURECHTWEISEN WÄHREND DER TAT. Also der Aufruf zur Disziplin, wenn du so willst.

Verzichte auf Bestrafungen! Wenn du sichergehen willst, dass eine Strafe keine Angst vor deiner Terror-Herrschaft erzeugt, dann verzichte komplett auf Strafen. Es gibt nur sehr, sehr wenige Fälle, in denen eine Strafe im menschlichen Sinne des Verständnisses dieses Begriffes ein wirksames Hunde-Erziehungsmittel ist.

Jede unbegründete Strafe ist aus der Sicht des Bestraften - ganz egal ob Mensch oder Hund - reine Terror-Willkür. Und du kannst keine Begründung mitliefern, weil dein Hund die menschliche Sprache nicht versteht.